Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
hindurch und hörte den
Vorsitzenden, der eine wirkungsvolle Pause einlegte und ihn mit hochgezogenen
Brauen zu grüßen schien, sich in seinen Ausführungen aber nicht weiter stören
ließ.
„ ... und so stelle ich fest, das zwanzigste
Jahrhundert hat sich jahrzehntelang über den Kampf des Kommunismus mit dem
Kapitalismus definiert. Schon glauben weltweit alle Kapitalisten, der
Kommunismus war einer der größten Irrtümer der Vergangenheit. Das stimmt so
nicht. Leider haben wir die erste Runde verloren und sind vom Vorbild des
gesamten ehemaligen Ostblocks nach dem Zusammenbruch zum Feindbild für unsere
Anrainerstaaten geworden, ein unerträglicher Zustand. Diesen Status quo können
wir nicht akzeptieren. Die Tentakel des Klassenfeindes reichen bis an unsere
Einflusssphären, haben diese teilweise schon durchdrungen und infizieren unsere
Werktätigen mit dem süßen Gift der so genannten Freiheit. Früher hatten wir
Stolz und Arbeit, jetzt haben wir freie Märkte, einige Milliardäre und noch
mehr Millionäre, Prostitution, Drogen und AIDS. Unsere Wirtschaft hat wieder
den frühen Manchester-Kapitalismus angenommen, der letzten Endes zur
Oktoberrevolution führte.
Bislang hat sich in unserem Land der
Kapitalismus gegenüber dem Kommunismus nicht als die überlegene Wirtschaftsform
erwiesen, im Gegenteil.
Unsere Bevölkerung verarmt in immer höherem
Maße. Kinder mit hungrigen Mäulern werden von ihren Eltern verstoßen,
ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Sie säumen zu Hunderten die Straßen
und Plätze in Moskau und in anderen großen Städten und tauchen im Winter in die
wärmere Kanalisation ab. Lange vor ihrer Pubertät werden kleine Mädchen auf den
Straßen westlichen Touristen feilgeboten. Eine Schande, wie wir mit unseren
Kindern, unserer Zukunft umgehen. Den Krankenhäusern läuft das medizinische
Personal davon und dient sich dem Westen an. Auf vielen Stationen ist eine
Erstversorgung und stationäre Behandlung nicht mehr möglich. Angehörige müssen
ihre Verwandten selbst in den großen Moskauer Krankenhäusern pflegen. Nicht nur
die Disziplin in unserer glorreichen Armee, nein, auch die Armee selbst löst
sich auf. Täglich desertieren in allen Waffengattungen Soldaten in
Bataillonsstärke. Kein Wunder, wenn der Wehrsold nicht bezahlt werden kann.
Meine Herren, wir wissen alle, dass Russland einem
Staatsnotstand, einem Abgrund entgegenschlittert, wir wissen alle, dass
gehandelt werden muss und zwar sofort. Wann, wenn nicht jetzt. Und wer, wenn
nicht wir, sollte initiativ werden? Wir werden das Blatt wieder wenden.
Ich fasse also zusammen, dass wir sowohl dem
Expansionsdrang der Nato als auch dem der Europäischen Union wirkungsvoll
begegnen müssen. Wenn wir nicht handeln, fallen Estland, Lettland und Litauen
zuerst der Europäischen Union und später auch der NATO anheim. Andere ehemalige
Sowjetrepubliken werden folgen. In einigen Jahren wird unser Land von
kapitalistischen Staaten umgeben und bis zur Bedeutungslosigkeit herunter
gewirtschaftet sein.
Wir müssen handeln. Unter Hammer und Sichel, dem
alten Emblem, wird unser geliebtes Russland wieder aufblühen und zur alten
Größe erstarken. Unsere Hightech-Schmieden und der militärisch-industrielle
Komplex haben wehrtechnische Spitzenprodukte von Weltruf hervorgebracht, die
ihres gleichen suchen. Unser Land ist reich mit Bodenschätzen gesegnet, und wir
besitzen das geistige Potential, alles sinnvoll zum Ruhme Mütterchen Russlands
zu nutzen und einzusetzen.
Wenn uns die europäische Geschichte eines
gelehrt hat, ist es die Tatsache, dass große Ziele nie, ich betone nie, mit
Samthandschuhen erreicht worden sind. Wir werden Scherben zurücklassen, aber
niemals auf einen Scherbenhaufen zurückblicken, das verspreche ich.
Und wenn wir den Staatsnotstand bejahen, ist
unser Vorhaben ein Akt der Notwehr. Spätere Generationen und die Geschichte
werden uns recht geben. Lasst uns daher den eingeschlagenen Weg fortsetzen.
Unsere Schläfer haben die erforderliche Infrastruktur für unser Vorhaben seit
Monaten gelegt und fertiggestellt und können für den Tag „X“ von jetzt auf
gleich reaktiviert werden. Bleibt nur noch ein einstimmiges Ja-Votum, um den
zweiten, entscheidenden Schritt zu tun. Nur so können wir zum Wohle Russlands
das Ruder herumreißen. Unser Mann in Berlin hat gegen eine Menge Valuta
hervorragende Arbeit geleistet. Jetzt aber ist er entbehrlich. Wir können ihn
abschalten“.
Der Vorsitzende ließ seine Worte
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