Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
Luftkreuz Moskau
wäre dann lahmgelegt, für Stunden, wenn sich das Wetter nicht änderte.
Schukows Gedanken schweiften in die längst
verflossene Vergangenheit zurück. Viel zu gerne erinnerte er sich an die Zeit
in Frunse. Nach seiner Ausbildung in der Frunsener Militärakademie und dem
Studium an der Parteihochschule begann seine Karriere. Sein größer werdender
Einfluss erlaubte ihm die ganz, ganz großen Räder zu drehen. Er war zwar nicht
mit dem Oberbefehlshaber der Westgruppe der sowjetischen Armee in der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Feldmarschall Schukow, dem
späteren Verteidigungsminister, verwandt oder verschwägert, dennoch glaubte er,
dass diese zufällige Namensgleichheit ein wenig zu seiner beispiellosen
Karriere im Dienst beigetragen haben könnte. Im alltäglichen Miteinander waren
gleichrangige Kollegen und untergeordnete Hierarchieebenen stets eine Spur
beflissener, ja freundlicher, als er es aufgrund seines jeweiligen Dienstgrades
erwarten durfte. In allen Abteilungen des ehemaligen Dienstes war es ein
ungeschriebenes Gesetz, nie über familiäre und private Dinge zu sprechen. Warum
also sollte Schukow die zufällige Namensgleichheit mit seinem berühmten
Namensvetter aufklären. Nein, er hatte es nie getan.
Der Sturm schien an Gewalt nachzulassen.
Die Exemplare der Prawda und der Iswestija
nochmals durchzublättern erfolgte nur aus Langeweile. Neues würde er nicht
entdecken. Die Eintönigkeit des Wartens ermüdete ihn, sein Kopf wurde ihm
schwer und schwerer.
Aus dem Halbschlaf erwachte Schukow, als endlich
die ersehnte Lautsprecherdurchsage durch das Gebäude dröhnte. Die Schneefront
war nach Westen abgedriftet, die Start- und Landebahnen würden rasch geräumt
werden, alle planmäßigen Flüge könnten voraussichtlich mit viereinhalb Stunden
Verspätung starten.
Schukow, nein, der deutsche Staatsbürger, Kurt
Schüßler, geb. 28. 10. 1943 in Finsterwalde, hatte sich einchecken lassen und
legte nun an der Passkontrolle einen perfekt verfälschten deutschen Reisepass
vor. Ein Bundespersonalausweis sowie ein Führerschein mit gleichen
Personendaten steckten in seiner Brieftasche.
Schuhe, Anzug, Mantel sowie alle anderen Kleinutensilien,
die ein westdeutscher Geschäftsmann auf Reisen mitzuführen pflegte, waren in
Deutschland gekauft worden. Der prächtige Wendemantel wies ihn als sehr
erfolgreichen Geschäftsmann aus. Er sprach ein makelloses Hochdeutsch, ohne
irgendeinen Akzent, hatte er doch Germanistik und deutsche Literatur- und
Theaterwissenschaften an der Ostberliner Humboldtuniversität studiert.
Seine Legende schien wasserdicht. Der wahre Kurt
Schüßler war im Hafen von Petersburg mit einem Blutalkoholwert von 3,2 Promille
als Wasserleiche vor zwei Jahren geborgen worden. Die deutsche Botschaft wurde
hierüber nie informiert. Die Ausweispapiere dieser Wasserleiche trugen nun ein
Lichtbild von Schukow.
Was Schukow nicht wusste, war die Tatsache, dass
die deutschen Sicherheitsbehörden Kurt Schüßler als vermisste Person in der
bundesweiten INPOL-Datei führten. Eine solche Datei, in der unter anderem alle
per Haftbefehl gesuchten und vermissten Personen gespeichert sind, kannte er
nicht, sie wurde erst nach seiner Pensionierung beim Bundeskriminalamt
installiert. Seine Auftraggeber ließen ihn hierüber in Unkenntnis.
Ein gepflegter deutscher Geschäftsmann nahm in
der Businessclass Platz, um mit dem LOT-Flug 334 nach Warschau zu fliegen.
Schukow, alias Schüßler, ließ sich von dem Kabinensteward eine Wolldecke
bringen und einen Whisky servieren und hoffte, bis zur Landung in Warschau noch
ein bisschen schlafen zu können. Das eintönige Summen der Turbinen und der
vorzügliche Whisky ließen Schukow schnell eindämmern. Kurz vor Warschau geriet
die LOT-Maschine in heftige Turbulenzen. Der Flieger hatte wohl die
Unwetterfront, die den Moskauer Flughafen vor Stunden lahm gelegte hatte,
eingeholt.
Schüßler erwachte und sah sich sofort mit den
kleinen, mit großer Wahrscheinlichkeit eintretenden Unwägbarkeiten, die leider
mehr oder weniger jede Aktion begleiteten, konfrontiert.
Was, wenn sein deutscher Kontaktmann
unzuverlässig war? Was, wenn das Foto der Zielperson im Schließfach des
Warschauer Flughafens älteren Datums war, aus einer ungünstigen Kameraposition
fotografiert wurde oder einfach nur Unschärfen aufwies? Instinktiv griff er in
seine rechte Westentasche. Hinter seiner Taschenuhr aus Tulasilber fühlte er
den Schließfachschlüssel des
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