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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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rechten Weg.« So heißt es gleich zu Beginn des ersten Gesangs. Dante mußte prophetisch die Peripherie der modernen Großstädte vor Augen gehabt haben, als er die Suche nach der Hölle beschrieb. In der Hölle der Randgebiete schmoren die Unseligen. Im Himmel der Innenstadt flanieren die Erlösten. Schade, daß ich keine Rede zum Umzug einer Firma von Jottwede ins Zentrum zu halten hatte.
    Der Oberbürgermeister war nicht gekommen, nur der dritte Bürgermeister und ein Stadtrat. Der Vorsitzende eines internationalen Golfclubs, der ein Grußwort sprechen sollte, sei unterwegs, hieß es. Der Direktor stellte mir einen sonnenbraunen Schönling vor - der einzige Mann außer mir, der keinen Schlips trug. Er schüttelte mir solidarisch die Hand. Ein Sproß der Inhaberfamilie. Ich versuchte, ein klassenkämpferisches Gesicht zu machen. So also sah der Teufel aus, wegen dem die armen Unschuldigen aus dem Paradies vertrieben und fortan hier draußen am Stadtrand schmachten mußten.
    Die Chinesin war nicht da. Und weg war meine Inspiration. Nur mit dieser Frau im Publikum vor Augen hätte ich die Kraft aufgebracht, in meiner Rede den verstiegenen Einfall aufzublasen, ein Vorteil der Peripherie sei, daß das zunächst Unschöne an ihr mit Schönheit ausgeglichen werden müsse - und daß diese Kompensation ein heilsamer Zwang sei. Macht euch schön, macht es euch schön! Wenn der Gedanke beim Publikum angekommen wäre, hätte ich ihn mit dem Zitat eines surrealistischen Poeten gekrönt: »Arbeiterinnen aller Länder: seid schön!«
    Nach der lustlosen Rede des dritten Bürgermeisters und dem Grußwort des Golfclub-Präsidenten, das aus der neckischen Schilderung einer Taxi-Irrfahrt hierher bestand, mit der eigentlich ich hatte beginnen wollen, war ich an der Reihe und begann damit, daß die heute so verpönte Peripherie einen königlichen Ursprung habe. Der klassische Monarch sei auf Ausdehnung seines Reiches wie auch seines Wanstes aus gewesen. Nur ein dicker König ist ein guter König. Im 18. Jahrhundert habe man, wenn man einen dicken Bauch meinte, von einer »kolossalen Peripherie« gesprochen. Ein Ausdruck der Machtfülle.
    Vereinzelt wurde höflich geschmunzelt, der Einstig war nicht der Brüller. Es wäre besser gewesen, mit meiner Version der Taxifahrt zu beginnen. Ich kam dann vom Bauch zum Nabel der Welt, schließlich zum Herzen der Stadt und landete beim Arsch der Welt, das ließ sich gar nicht vermeiden. Ich sah, wie der Direktor zusammenzuckte. Genau dieses Wort hatte er nicht hören wollen. Genau das hatte ich in meiner Rede ja vergessen machen sollen, daß man sich hier am Arsch der Welt befindet. Wäre er mit seinem Honorar nicht so knauserig gewesen, hätte ich mir das besser überlegt.
    Da überkam mich wieder das Mitleid mit den Unglücklichen, die täglich hier herausfahren müssen und ich fing an, den Arsch als etwas Wunderschönes zu beschreiben, in Brasilien habe man bereits erkannt, daß es sich um den wichtigsten Teil des Körpers handle, und auch im alten Europa werde die Zeit kommen, wo die Aussage »Ich wohne am Arsch der Welt« oder »Mein Arbeitsplatz ist am Arsch der Welt« positiv verstanden werden und sogar Sozialneid hervorrufen würde. Selten habe ich mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten derart herumjongliert.
    Der Direktor sah mißtrauisch zu mir her, und der schlipslose Inhabersproß lachte laut auf. Seine Zustimmung war mir unangenehm. Ich fing an die Zentren zu beschimpfen. Nur der Pöbel tummle sich im Zentrum. (Aufmerksamkeit.) Was sei denn das Zentrum heute? Nur noch immer gleiche Fußgängerzone. Wenn schon Zone, dann lieber Zonenrandgebiet. (Unsicheres Lachen.) Das gebe es in Deutschland nicht mehr. Aber dafür hätten wir die Peripherie. (Ratloses Schweigen.)
    Ich versuchte es mit Goethe, »Harzreise im Winter«, mit einer eigenwilligen Interpretation der berühmten Zeile »Aber abseits, wer ist’s?« (Ratloses Schweigen.) Ich mußte etwas populärer werden. Das Abseits sei nicht immer eine Falle, sagte ich. (Bonbon für die Fußballfreunde, wurde sofort mit Aufmerksamkeit belohnt.) Das Abseits sei der klassische intellektuelle und literarische Ort. Im Abseits, in der Peripherie, sagte ich, stünden nicht all die ordinären Wichtigtuer, die sich sehen lassen wollten, die versuchten, immer im Mittelpunkt zu stehen. Im Zentrum herrsche Gedränge, die Peripherie hingegen sei luftig und der ideale Ort für die Lässigen, die Dandys, die Souveränen. Am Rand könne man sich

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