Aus dem Leben eines Lohnschreibers
gekürzt und darauf verzichtet, weitere Geschichten aus meinem Lohnschreiberleben in dieses Buch mit aufzunehmen, die wiederum nichts als rückblickende Protokolle frei gehaltener Reden wären Auch weil das Redenhalten streng genommen nicht als Lohnschreiberei, sondern als Lohnrederei bezeichnet werden müßte.
Die Göttin der Filiale
Abgesehen von dem zitierten Kolumnentext aus der Münchner Abendzeitung unveröffentlicht. - Zum Glück eine völlig wahre Geschichte. Und obendrein ein work in progress. Schönes Beispiel für den immateriellen Nebenlohn eines Schriftstellers - und nicht das einzige. Ich könnte ein weiteres Buch mit solchen Nebenlohn-Geschichten füllen. Während sich die Branche auf der Frankfurter Buchmesse 2008 tummelte und für das Gastland Türkei Interesse heuchelte, habe ich mir von der türkischen Göttin meiner Filiale weitere türkische Liedzeilen erklären lassen. Penceresi yola karşı. Was heißt denn das nun wieder? Ein S mit einem Häkchen darunter, ein I ohne Pünktchen, es wird immer komplizierter, und meine Musikprogramme weigern sich, Lieder abzuspielen, deren Titel solche Buchstaben enthalten. Ich sitze vor dem Computer, rufe wieder mal die unerschöpfliche youtube-Seite auf, suche nach weiteren Liedern und Versionen und sehe und höre einem Bauern zu, der irgendwo in Anatolien vor seiner Hütte sitzt und ein Liedchen singt, und kann bereits mitsummen: ah yalan dünyada.
Die Göttin der Filiale ist nicht die einzige offenherzige Türkin. Als Anfang 2004 Fatih Akıns Film »Gegen die Wand« herauskam und die brechreizerregende Bildzeitung, dieser grausame Beweis für die Verkommenheit ihrer Macher und die millionenfache Dummheit der Alphabeten und die Wirkungslosigkeit klassischer Musik (Springerchef Mathias Döpfner ist promovierter Musikwissenschaftler) - als also die brechreizerregende Bildzeitung in ihrer unvergleichlichen Doppelmoral eine Hetzkampagne gegen die Hauptdarstellerin Sibel Kekilli startete, weil diese sich in der Vorzeit mit ein paar harmlosen Pornofilmchen Geld verdient hatte, schrieb ich in der »taz« eine Eloge auf die Schauspielerin, was allerdings auch andere Schreiber taten. Ich übertraf ihre anderen Verteidiger aber noch mit dem Wunsch, sie möge in einem nächsten Film eine Rächerin spielen, die in die Redaktion der Bildzeitung eindringt und das ganze geschniegelte Geschmeiß über den Haufen schießt: »Du Schwein verstehst keine andere Sprache!« Nichts ist härter als die Wahrheit.
Wer würde das nicht gern sehen, im Kino: einen röchelnd verendenden Bildzeitungschefredakteur! Die mir persönlich unbekannte Sibel Kekilli rief prompt bei mir an und bedankte sich in einer hinreißenden Suada für meinen Genugtuungsartikel. Ich konnte nicht anders als diese schöne und leider so seltene Spontanreaktion in meinen nächsten Roman aufzunehmen. Im 6. Kapitel der schon oben in den Anmerkungen erwähnten »Memoiren meiner Frau« habe ich diese Geschichte mit den Beleidigungen durch eine perfide Boulevardzeitung und meinem Artikel leicht verändert mitsamt dem kaum veränderten Telefonat einer ebenfalls schauspielernden Elisa zugeschrieben, die sich bei einem Schriftsteller namens Bruno bedankt. Da man gründliches Lesen nur von wenigen Fans kennt, und sich kein normaler Leser mehr dafür interessiert welche wirklichen Menschen sich hinter welchen Romanfiguren verstecken, betreibe ich in diesem Fall ungefragt Selbstauslegung und habe nun verraten, auch wenn es niemanden interessiert, wer sich hinter dieser Passage verbirgt
Es leben die jungen Türkinnen! Wie oft habe ich in meinem Lohnschreiberleben alle möglichen Frauen besungen. Stille danach. Verdruckstes Schweigen. Die Türkin aber weiß, was sich gehört. Sie ruft beim Lohnschreiber an und bedankt sich.
»Die Göttin der Filiale« hatte ich ursprünglich für eine andere, gleichzeitig erscheinende Buchveröffentlichung von mir vorgesehen, auf die hinzuweisen ich mir an dieser Stelle erlaube. Auch das (zunächst vor allem für den »Playboy« geschriebene) Lohnschreibergeschichten, die aber den Rahmen dieses Buchs hier gesprengt und den Akzent zu sehr in Richtung Erfolgserotik verschoben hätte. »Zur Phänomenologie des arbeitenden Weibes - Zwölf Eroberungsversuche und zwei Dreingaben« nennt sich besagtes Buch (Haffmans Verlag bei Zweitausendeins), das thematisch mit dem hier vorliegenden korrespondiert, schon weil auch dessen Icherzähler sich aus der Lohnschreiberperspektive den angebetene Frauen
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