Aus dem Leben eines Taugenichts - Erzaehlungen
einsamen Schlosse wie ein verwunschener Prinz. Wo ich hintrat, hatten die Leute eine große Ehrerbietung vor mir, obgleich
sie schon alle wußten, daß ich keinen Heller in der Tasche hatte. Ich durfte nur sagen: «Tischchen, deck dich!» so standen
auch schon herrliche Speisen, Reis, Wein, Melonen und Parmesankäse da. Ich ließ mirs wohl schmecken, schlief in dem prächtigen
Himmelbett, ging im Garten spazieren, musizierte und half wohl auch manchmal in der Gärtnerei nach. Oft lag ich auch stundenlang
im Garten im hohen Grase, und der schmale Jüngling (es war ein Schüler und Verwandter der Alten, der eben jetzt hier zur Vakanz
war) ging mit seinem langen Kaputrock in weiten Kreisen um mich herum und murmelte dabei wie ein Zauberer aus seinem Buche,
worüber ich dann auch jedesmal einschlummerte. – So verging ein Tag nach dem andern, bis ich am Ende anfing, von dem guten
Essen und Trinken ganz melancholisch zu werden. Die Glieder gingen mir von dem ewigen Nichtstun ordentlich aus allen Gelenken,
und es war mir, als würde ich vor Faulheit noch ganz auseinanderfallen.
In dieser Zeit saß ich einmal an einem schwülen Nachmittage im Wipfel eines hohen Baumes, der am Abhange stand, und wiegte
mich auf den Ästen langsam über dem stillen tiefen Tale. Die Bienen summten zwischen den Blättern um mich herum, sonst war
alles wie ausgestorben, kein Mensch war zwischen den Bergen zu sehen, tief unter mir auf den stillen Waldwiesen ruhten die
Kühe auf dem hohen Grase. Aber ganz von weitem kam der Klang eines Posthorns über die waldigen Gipfel herüber, bald kaum vernehmbar,
bald wieder heller und deutlicher. Mir fiel dabei auf einmal ein altes Lied recht aufs Herz, das ich noch zu Hause auf meines
Vaters Mühle von einem wandernden Handwerksburschen gelernt hatte, und ich sang:
Wer in die Fremde will wandern,
Der muß mit der Liebsten gehn,
Es jubeln und lassen die andern
Den Fremden alleine stehn.
Was wisset ihr, dunkele Wipfel,
Von der alten schönen Zeit?
Ach, die Heimat hinter den Gipfeln,
Wie hegt sie von hier so weit!
Am liebsten betracht ich die Sterne,
Die schienen, wenn ich ging zu ihr,
Die Nachtigall hör ich so gerne,
Sie sang vor der Liebsten Tür.
Der Morgen, das ist meine Freude!
Da steig ich in stiller Stund
Auf den höchsten Berg in die Weite,
Grüß dich, Deutschland, aus Herzensgrund!
Es war, als wenn mich das Posthorn bei meinem Liede aus der Ferne begleiten wollte. Es kam, während ich sang, zwischen den
Bergen immer näher und näher, bis ich es endlich gar oben auf dem Schloßhofe schallen hörte. Ich sprang rasch vom Baume herunter.
Da kam mir auch schon die Alte mit einem geöffneten Pakete aus dem Schlosse entgegen. «Da ist auch etwas für Sie mitgekommen»,
sagte sie, und reichte mir aus dem Paket ein kleines, niedliches Briefchen. Es war ohne Aufschrift, ich brach es schnell auf.
Aber da wurde ich auch auf einmal im ganzen Gesichte so rot wie eine Päonie, und das Herz schlug mir so heftig, daß es die
Alte merkte, denn das Briefchen war von meiner schönen Frau, von der ich manches Zettelchen bei dem Herrn Amtmann gesehen
hatte. Sie schrieb darin ganz kurz: «Es ist alles wieder gut, alle Hindernisse sind beseitigt. Ich benutzte heimlich diese
Gelegenheit, um die erste zu sein, die Ihnen diese freudige Botschaft schreibt. Kommen, eilen Sie zurück. Es ist so öde hier,
und ich kann kaum mehr leben, seit Sie von uns fort sind. Aurelie.»
Die Augen gingen mir über, als ich das las, vor Entzücken und Schreck und unsäglicher Freude. Ich schämte mich vor dem alten
Weibe, die mich wieder abscheulich anschmunzelte, und flog wie ein Pfeil bis in den allereinsamsten Winkel des Gartens. Dort
warf ich mich unter den Haselnußsträuchern ins Gras hin und las das Briefchen noch einmal, sagte die Worte auswendig für mich
hin und las dann wieder und immer wieder, und die Sonnenstrahlen tanzten zwischen den Blättern hindurch über den Buchstaben,
daß sie sich wie goldene und hellgrüne und rote Blüten vor meinen Augen ineinanderschlangen. Ist sie am Ende gar nicht verheiratet
gewesen? dachte ich; war der fremde Offizier damals vielleicht ihr Herr Bruder, oder ist er nun tot, oder bin ich toll, oder
– «Das ist alles einerlei!» rief ich endlich und sprang auf, «nun ists ja klar, sie liebt mich ja, sie liebt mich!» Als ich
aus dem Gesträuch wieder hervorkroch, neigte sich die Sonne zum Untergange. Der Himmel war rot, die Vögel
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