Schmetterlingsspiegel (Keshevra's Queendom) (German Edition)
Kapitel 1: Langweilig…
Es war echt ärgerlich, dass weder Danika noch Liam zuhause waren. Superärgerlich. Man wusste ja gar nicht, was man mit seiner Zeit anfangen sollte, vor allem, wenn man wie sie schon vor Sonnenaufgang wach gewesen war. Sabrìanna saß in ihrer Wohnung und starrte die bunt gestrichenen Wände an. Sie könnte lesen, klar – aber das bestellte Buch war noch nicht geliefert worden. Oder fernsehen – aber da lief doch immer nur der gleiche Mist. Vielleicht sollte sie sich aufraffen und ein wenig Sport treiben. Sinnvoll wäre es, den Kreislauf mal so richtig in Schwung zu bringen. Oder auf den Markt gehen, um sich endlich mal gesünder zu ernähren. Das hatte sie sich doch ohnehin vorgenommen. Genervt packte sie ein Duplo aus und knusperte daran herum. Irgendwie fehlte ihr in ihrem Leben das Besondere. Das Aufregende. Aber wenn man dann die Zeitung aufschlug und las, was anderen so zustieß, dann musste man ja eigentlich dankbar sein. Keine Aufregung bedeutete zumindest keine Gefahr. Hmpf. Aber ausgerechnet heute, wo sie den ganzen Tag frei hatte, zuhause zu sitzen, ganz allein und ohne Freunde, das war ätzend. „Alles doof außer mir!“ brummelte sie vor sich hin und knüllte das Duplo-Papier zusammen, zielte auf den Mülleimer in der Ecke und verfehlte ihn natürlich. „Ach menno!“ Jetzt müsste sie aufstehen und das silberne Kügelchen aufheben. Aber selbst dazu hatte sie keine Lust. Sie könnte ihre Tante besuchen… Halt, nein, die war ja auch nicht da. Normalerweise war diese immer ein Garant für Abwechslung und Spaß, denn die beiden lagen absolut auf einer Wellenlänge. Seit Sabrìannas Eltern gestorben waren, hatte sich Tante Lindy um sie gekümmert, mehr wie eine Freundin oder große Schwester eigentlich. Doch nun war sie verreist, drei Wochen Urlaub in den USA. Niemand war da, außer ihr und ihrer Langweile. Doof. Mehr als doof.
Eine Weile durchbohrte sie das Duplo-Papier auf ihrem Teppich mit den Blicken, als erwarte sie, es würde sich in Luft auflösen – oder sich selbst in den Papierkorb befördern. Was es natürlich nicht tat, wie auch. Auch in Irland war nicht alles möglich, selbst wenn man dort vielleicht sehr viel mehr zu glauben bereit war als in anderen europäischen Ländern. Tief seufzte Sabríanna auf und summte ein altes irisches Lied vor sich hin: „In Dublin's fair city… lalala… sweet Molly Malone… och nööö! Jetzt ist mir auch noch ein Fingernagel eingerissen!“ Wütend sprang sie auf und kickte das arme Duplo-Papier gegen die Wand, als wäre das an allem Schuld. „Ich muss hier raus. Das nervt mich alles an!“ beschloss sie und griff nach ihrer Lieblingshandtasche Sie zog über dem dicken Pullover eine noch dickere Jacke an und schlüpfte mit zwei Paar Socken übereinander in die lammfellgefütterten Stiefel, schlang ihren lilafarbenen Seidenschal um den Hals und verließ das Haus. Auch wenn es Ende Mai war, musste man auf warmes Frühlingswetter wie so oft noch warten, und der übliche irische Wind zerrte an ihren schulterlangen blonden Haaren. Das ließ sie gleich wieder fluchen, irgendwie schien heute jemand etwas gegen sie zu haben. Ihre sorgsam glattgeföhnte Frisur war binnen Sekunden zerstört, und sie war schon wieder nahe am Umdrehen, als ein Sonnenstrahl sich den Weg durch den bewölkten Himmel bahnte und ihre Nasenspitzte traf. „Ui, Sonne!“ Ihre blaugrauen Augen leuchteten auf, und sie setzte ihren Weg doch fort. Gut gelaunt gondelte sie stundenlang mit ihrem museumsreifen VW Käfer quer durchs Land und sang lauthals eine der alten Balladen, von denen es hier so viele gab. Wie allgemein Irland ein Hort an Liedern und Geschichten war, dem kein Land der Welt gleichkam, ihrer Meinung nach zumindest. Sabrìanna kannte die meisten, sie war schon immer sehr interessiert an der Geschichte, vor allem aber den Legenden ihres Landes und freute sich immer, wenn sie eine neue irgendwo ausgraben konnte. Wie praktisch, dass sie in einem Literaturcafé arbeitete! So versank sie in Gedanken an alte Zeiten, nachdem sie den Wagen geparkt hatte und am Strand von Waterville entlang schlenderte. Das war einfach ihr Lieblingsstrand in Irland, obwohl das County Kerry so weit von ihrer Heimatstadt Dublin entfernt war, und das kleine Örtchen nach Meinung ihrer Freunde gar nichts Besonderes aufweisen konnte. Sie jedoch fühlte sich hier jedes Mal besonders wohl, und so schaute sie auch diesmal nicht wirklich, wohin sie schlenderte,
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