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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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klangen nicht menschlich, sondern so, wie vielleicht Schatten reden würden, dann aber auch plötzlich und ohne Übergang in einem Tonfall, der dem irren Trommeln wilder Stämme glich.
    Wir saßen nicht als Menschen, sondern als Götter in seinem Theater. Wir ergötzten uns an einer Tragödie, die in Wirklichkeit unsere eigene war. Dann aber erschien sie, und ich sah sie nie so unbeholfen, wie in jenen Augenblicken, die ihrem Tod vorausgingen, doch auch nie so rein. Brach die Menge zuerst in ein Gelächter aus, als sie die Bühne betrat – so genau berechnet war ihr Auftritt, daß er wie eine obszöne Pointe wirken mußte –, so verwandelte sich dieses Gelächter bald in Wut. Sie erschien als Frevlerin, die sich anmaßte, einer Gewalt entgegenzutreten, die zwar alles zermalmt, aber auch jede Sünde entschuldigt und jede Verantwortung aufhebt, und ich begriff, daß dies der eigentliche Grund war, durch den die Menge verführt wurde, auf die Freiheit zu verzichten und sich dem Bösen zu ergeben, denn Schuld und Sühne gibt es nur in der Freiheit. Sie begann zu sprechen und ihre Stimme war ihnen eine Lästerung jener grausamen Gesetze, an die der Mensch dann glaubt, wenn er sich zum Gott erheben will, indem er Gut und Böse aufhebt. Ich erkannte seine Absicht und wußte nun, daß er darauf ausgegangen war, ihren Untergang vor aller Augen mit der Zustimmung aller zu vollziehen.
    Sein Plan war vollkommen. Er hatte einen Abgrund geöffnet, in den sich die Menge stürzte, gierig nach Blut, um immer wieder neuen Mord zu verlangen, weil nur so der besinnungs-lose Taumel zu finden war, der allein befähigt, nicht in unendlicher Verzweiflung zu erstarren. Sie stand mitten unter den Menschen, die sich in Bestien verwandelten, als eine Verbre-cherin. Ich sah, daß es schreckliche Momente gibt, in denen 42

    sich eine tödliche Umwälzung vollzieht, wo der Unschuldige den Menschen schuldig erscheinen muß. So war unsere Stadt bereit, jener Tat beizuwohnen, die einem wilden Triumph des Bösen gleichkam. Es senkte sich nämlich von der Decke der Bühne eine Vorrichtung herab. Es mochten leichte Metallstäbe sein und Drähte, an denen Klammern und Messer angebracht waren, sowie Stahlstangen mit seltsamen Gelenken, die auf eine eigentümliche Art miteinander verbunden waren, so daß die Vorrichtung einem ungeheuren und überirdischen Insekt zu gleichen schien, und zwar bemerkten wir sie erst, als sie das Weib erfaßt und in die Höhe gehoben hatte. Kaum war dies geschehen, brach die Menge in ein unermeßliches Beifallklat-schen und Bravorufen aus. Als sich nun immer neue Klammern auf die Schauspielerin senkten und sie quer hielten, wälzten sich die Zuschauer vor Lachen. Als die Messer ihre Kleider aufzuschneiden begannen, so daß sie nackt hing, erhob sich aus den ineinandergekeilten Massen ein Rufen, das irgendwo entstanden sein mußte, das sich mit der Geschwin-digkeit des Gedankens immer weiter fortpflanzte und sich ins Unendliche hob, immer wieder aufgehoben und weitergege-ben, bis alles ein Schrei: Töte sie! war und unter dem Toben der Menge ihr Leib durch die Messer zerteilt wurde, derart, daß ihr Kopf mitten unter die Zuschauer fiel, die sich erhoben hatten, ihn faßten, von seinem Blut besudelt, worauf er wie ein Ball von einem zum andern flog. Und wie sich die Menschen aus dem Theater wälzten, sich stauend, einander niederstamp-fend, den Kopf vor sich hertreibend, durch die gewundenen Gassen in langen sich schwingenden Ketten, verließ ich die Stadt, in der schon die grellen Fahnen der Revolution flammten und sich die Menschen wie Tiere anfielen, umstellt von seinem Gesindel, und wie der neue Tag heraufdämmerte, niedergezwängt von seiner Ordnung.

    43

    Die Falle
    1946

    Es war auf der Straße, als ich mitten in der Menge seinen Blick zum ersten Mal spürte. Ich blieb stehen; wie ich mich jedoch umwandte, bemerkte ich niemand, der mich beobachtete. Es zogen nur die Menschen an mir vorüber, die an den Spätnach-mittagen die Straßen der Städte füllen: Geschäftsleute, sich in die Gasthöfe verlierend, Verliebte vor Schaufenstern, Frauen mit Kindern, Studenten, Dirnen bei ihrem ersten, noch zögern-den Gang vor dem Einbrechen des Abends, und Schüler, die sich in Rudeln aus ihren Schulen ergossen; doch verließ mich von da an die Gewißheit nicht mehr, von ihm beschattet zu sein. Oft fuhr ich zusammen, wenn ich aus dem Hause trat, denn ich wußte, daß er nun den Kellereingang verließ, in welchem er sich barg, oder

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