Aus der Spur
versuchen, an den Informanten ranzukommen. Flannigan wird nicht mal dann den Mund aufmachen, wenn du deine Mutter auf ihn ansetzt. «
» Diese Vorstellung gefällt mir. «
» Wie geht es ihr? «
Chang wusste, dass Colleen nur der Höflichkeit halber fragte. » Sie hat gute und schlechte Tage. «
» Na, da hast du ja die Wahl zwischen Pest und Cholera. « Colleen ließ wieder ihr rauchiges Lachen hören. » Und Shu? «
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Chang, sie hätte » Und du? « gesagt. Aber sie hatte ihn ja schon gefragt, wie es ihm ging. Trotzdem sagte er ihr, was sie wissen wollte: » Der ist so zäh wie eh und je. Ich trainiere wieder mit ihm. Das ist besser als jede Therapie. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch. Du würdest staunen. « Hör mit dem Geschwafel auf!
» Das ist doch toll! « Colleens Stimme war zu eisig, als dass ihre Begeisterung echt hätte sein können.
Er war zu weit gegangen. Chang drosch sich mit der Faust auf den Oberschenkel und konzentrierte sich auf den Schmerz.
» Ja, ist es. Soll ich ihm sagen, dass Correen ihm Glüße bestellt? « Shu hatten Colleens Witzeleien nie viel ausgemacht.
» Mach das. Hey, wenn ich wieder zurück bin, erkundige ich mich über Flannigan, okay? «
» Das weiß ich zu schätzen. « Chang unterdrückte den Impuls, sie zum Essen einzuladen.
» Nun, war nett, mit dir zu plaudern, aber jetzt brauche ich meinen Schönheitsschlaf. Ruf mich an, wenn du das nächste Mal in New York bist. «
» Mach ich « , sagte Chang, aber ihr war vermutlich klar, dass er das nicht tun würde. Er hatte wirklich keinerlei Bedürfnis zu wissen, wie dieser Travis aussah.
Chang wusste, dass er heute keinen Schlaf finden würde. Er verbrachte den Rest der Nacht damit, seine Fallnotizen nach dem gemeinsamen Nenner zu durchforsten, der die Mordopfer miteinander verband. Doch seine Mühen wurden nur mit einem stechenden Schmerz hinter den Schläfen belohnt. Anstatt es erst mit Aspirin zu versuchen, holte sich Chang gleich den kleinen Tiegel mit Shus selbst angerührtem Tigerbalsam. » Riecht wie brünftiges Yak, aber hilft besser. « Shu hatte nicht übertrieben; der Balsam stank fürchterlich, doch er brachte Changs Kopfschmerzen zum Verschwinden.
Er meditierte, trank Ginsengtee und starrte auf die Tatortfotos. Sein imaginäres Kanu leckte, der Tee hinterließ einen bitteren Nachgeschmack, und die Bilder verschwammen vor seinen Augen. Aber es war ihm gelungen, seine Exfrau für ein paar Stunden aus seinen Gedanken zu verbannen.
Chang war nie allein im Dunkeln. Einer nach dem anderen erschienen die Geister der unschuldigen Toten vor ihm und klagten ihn an. Da war etwa die Schwester der Tongs. Ihr Gesicht schwebte oft zwischen Changs chinesischen Masken. Er hatte vergeblich versucht, ihren Namen zu vergessen… Tao. Das bedeutete » langes Leben « . Die Götter hatten ihren Spaß mit ihm.
Die Verlässlichste unter seinen Besuchern war Jennifer Topper. Sie kam fast jede Nacht zu ihm. Die Tochter dieses Immobilienmoguls ging ihm einfach nicht aus dem Kopf.
Möglicherweise waren diese verdammten Vermisstenplakate daran schuld. David Topper hatte damals halb Manhattan mit den Dingern zugepflastert. Der Mörder konnte gar nicht anders, als sie zu sehen. Direkt unter ihrem Namen und ihrem Bild stand in Großdruck: » GRÜNE AUGEN « . Als ob das etwas Einzigartiges wäre, dachte Chang. Aber zum Schluss waren sie genau das gewesen, oder nicht? Chang sah immer noch die klobige Plastiksonnenbrille vor sich, die Jennifers halbes Gesicht bedeckt hatte. Die Leute von der Spurensicherung hatten sie als » Opabrille « bezeichnet. Im faltenlosen Gesicht des jungen Mädchens hatte sie fehl am Platz gewirkt. Trotzdem hatte Jennifer in ihrem Tennisdress wie ein Partygirl ausgesehen, das nach einer wilden Nacht bekifft auf dem Tennisplatz eingeschlafen war.
War sie aber nicht. Dass Jennifer kein verzogenes, reiches Gör war, war Chang an dem Tag aufgegangen, an dem sie ihn eingeladen hatte, an ihrer Schule einen Vortrag über Polizeiarbeit zu halten. Danach hatte Chang in der Schulcafeteria mit ihr zu Mittag gegessen. Das Gespräch mit ihr würde er nie vergessen.
Jennifer hatte ihm von » Gesicht (be)wahren « erzählt. Sie hatte ihren Vater so lange bekniet, bis er diese Stiftung gegründet und mit ausreichenden Geldmitteln ausgestattet hatte. » Gesicht (be)wahren « ermöglichte es chinesischen Kindern mit Gesichtsfehlbildungen, in den Vereinigten Staaten chirurgisch behandelt
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