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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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denn auch mit so was rechnen? (Und wenn’s regnet?, dachte ich noch. Das ist dann wie mit der Schneelast und den einstürzenden Dächern.) Also noch mal: das Autodach voll Windeln – wer macht denn bitte so was?
    Ich.
    Familie Sitzvollbrösel hatte sich bei Abreise gedacht: Für die Kinderhintern nur das Beste, und kurzerhand den Halbjahresbedarf Ökowindeln aufs Dach gepackt. Wenn dann jeder Besucher aus Deutschland noch eine Packung mitbrächte, als Gastgeschenk, so kämen wir dann wohlgewickelt durch das Italienjahr. Und Papa Sitzvollbrösel windelt Kinder und Gewissen, während Mama fertig studiert.
    Aber da hatten wir ja noch keine Ahnung.
     
    Es war unser vierter Morgen in unserer neuen Wohnung mitten in Florenz, in einer kleinen Straße, Oltrarno, dem Viertel südlich des Arno. Und es war bereits das zweite Mal, dass die Hauptwasserleitung gekappt wurde. Die Geräusche: Quietschen, Gurgeln, Fluchen. Die Akteure: Hahn, Leitung, Viola.
    Irgendwann im Laufe des Vormittags erschien ein sogenannter »Tecnico« (derselbe wie beim ersten Mal) und machte nichts weiter, als das Wasser für mehrere Straßenzüge abzusperren (ganz genauso wie beim letzten Mal). Dann sah man ihn unten im Hof rauchen (hatte er sich das letzte Mal nicht an dieselbe Wand gelehnt?), während wir mit der übriggebliebenen Spülkastenladung bis in den Abend hinein planten (zumindest
wir
hatten gelernt).
    »Ich arbeite heute trotzdem zu Hause«, sagte Viola. »Die ganze Stadt ist doch eine Baustelle. Wer weiß, ob die Bibliothek heute Wasser hat?« Und sie verschwand im Arbeitszimmer – zwei Stufen rauf. Fatal, wenn es darum geht, eine drohende Wohnungsüberflutung möglichst früh zu registrieren. Sie verschwand hinter Dante, Göttlicher Komödie, Sekundärliteratur – was man eben so tut, um sein Studium zu Ende zu bringen. Ich ging mit den zwei Kindern raus, Schaukeln, Rutschen, Eisessen. Und dazwischen zu Zia Anna, der Tante.
     
    Zia Anna ist die Schwester meines Schwiegervaters, die bei uns in der Straße wohnte. Sie ist die, die immer Rat weiß, manchmal sogar schon, bevor ich überhaupt Zeit gefunden habe zu fragen. Die mir Italienisch beibringt und zeigt, wie man ein Rebhuhn rupft. Die weiß, wer die beste Focaccia in der Stadt bäckt und wo man selbstklebende Folie mit Klinkerbauimitat findet. Die sich, mitten in Florenz, eine kleine Insel der Selbstversorgung aufgebaut und ihr doppelbettgroßes Gartenfleckchen auf drei Produkte optimiert hat: Unten wächst ein Feld Basilikum, oben ranken sich Kiwis und dazwischen hält sie Tauben. Keine Trauben,
Tauben
. In unserem Florenzjahr gab es oft Gerichte mit einem dieser drei Produkte oder etwas, das sie dagegen tauschen konnte.
    Wenn wir etwas brauchten, gingen wir immer zuerst zu Zia Anna. Sie hatte immer jemanden an der Hand, der es billiger, besser, befreundeter machte. Zum Beispiel dieser Bekannte – »Signor Occhio« hieß er laut Klingelschild –, der sich noch schnell einen weißen Kittel überwarf, als wir schon in der Tür standen. Im Souterrain vertickte Signor Occhio Sonnenbrillen (»Armani, Versace, Gucci, Ricci, D&G, Prada oder Jaguar? Alles kein Problem. Rechnung? Wieso Rechnung? Rechnung ist ein Problem«). Oder Kinderklamotten. Bekam Zia Anna natürlich geschenkt, für die Bambini. Jedes T-Shirt, jede einzelne Hose hatte sie gebügelt, gefaltet und dann in einen Gefrierbeutel gepackt. Wie neu wären die Dinge, meinte sie. Wie neu. Elf Paar Jeans zum Beispiel, alles Markenware, »von der Tochter des Polizeikommandanten«.
    Was Zia Anna noch lieber tut, als Dinge zu organisieren, ist, davon zu erzählen, was sie schon alles organisiert hat. Ja, das mit der Wohnung, das wäre wirklich nicht einfach gewesen, mitten in Florenz. Aber die Freundin, der sie immer frisches Basilikum mitbringt, wäre ihr noch was schuldig gewesen. Und deren Schwester hatte doch diese Wohnung, in der gleichen Straße, in der sie wohnte, gerade mal drei Häuser weiter, und die habe dann – extra für sie, »per la mia Anna …«
    Die Folie mit dem Klinkerbauimitat hatte Zia Anna übrigens bereits vor unserer Anreise besorgt. War gerade günstiger, meinte sie – und ideal für unsere Küche. Sie wisse das, sie habe die Folie schließlich selbst zu Hause.
    »Hier.« Sie drückte mir die Rolle in die Hand. »Wollen wir gleich rübergehen und sie aufziehen?«
    Ich wand mich.
    »Viola arbeitet heute zu Hause, und Gianna habe ich ein Eis versprochen.« Ich strich Gianna über den Kopf. »Ein

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