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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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irgendwo »Vaterauszeit« oder »Erziehungsdings« hingeschrieben und sie sehe auch keinen Grund, an diesem Verhalten etwas zu ändern. Und ich sollte jetzt einen Termin beim Kanzler der Hochschule ausmachen.
     
    Der Kanzler hatte einen langen grauen Vollbart, in den er alle möglichen Dinge hineinnuschelte. »Bummelstudenten« zum Beispiel, »verlotterte Verhältnisse« oder »Exmatrikulation«. Dann nahm er seinen Mund ein wenig aus dem Bart (oder umgekehrt, das weiß ich nicht mehr so genau): Garantieren freilich könnte er nicht, dass das mit einer erneuten Einschreibung dann ganz problemlos verlaufen würde.
    Exmatrikulation? Ich schrieb an die Herren aus dem Prüfungsausschuss, doch bitte eine Ausnahmebefugnis zur Fachsemesterentfristung zuzulassen, Grund: Erziehungsdings.
    Der Prüfungsausschuss tat, was er konnte: Er prüfte – Regularien, Verordnungen, Hochschulgesetze und fand dort – nichts. Nichts zu Väterzeit oder Erziehungsdings. Und dann tat der Prüfungsausschuss, was er nicht oft tut: Er machte eine Ausnahme. In Vorwegnahme einer allgemeinen Kleinkind-Eltern-Regelung, »zu der Sie die erste Anregung gegeben haben«, können wir Ihnen ausnahmsweise noch ein weiteres Urlaubssemester gewähren.
     
    Ob wir uns das wirklich gut überlegt hätten, fragten damals auch meine Eltern. »Ein Jahr Florenz – um was genau zu tun?« Und wir standen da, ohne Antwort.
    Wir gehen nach Italien, dort wo die Sonne mehr Wumms hat, der Wein nicht filtriert werden muss, die Mozzarella auch vom Büffel kommt, wo die Menschen so tun, als ob man das ganze Jahr über mit offenem Schiebedach fahren könnte. Und ja, Viola würde dort studieren. Der Rest würde sich schon noch geben.
    Wie unkonzentriert darf man sein, wenn es um die eigene Zukunft geht? Darf man auf Gefühl und Abenteuer setzen und hoffen? Und nicht auf neue Zeilen im CV ? Darf man sagen: Da ist Meer. Da ist es warm. Reicht das?
    »Hm«, brummten die Eltern.
    Italien. Wo Menschen und Leben schöner und leichter sind. In jedem zweiten Kleidungsstück ist doch der Beweis eingenäht, schwarz auf weiß, gleich neben der Waschanleitung: »Europe S« steht da zum Beispiel, eine Zeile tiefer »Italy M«. Was Deutsche und Schweden, Polen und Finnen als Small tragen, das geht in Italien als Medium an die Kleiderstange. Reicht das nicht? Ist das kein Grund? Kein Plan? Kein Ziel? Italien, das einem ein S für ein M vormacht, eine 36 für eine 42 ; das Land der Bambini, in dem keiner erwachsen werden will; das Land, das das Leben auf den Kopf stellt. Klingt das nicht wunderbar?
    »Das Leben auf den Kopf stellen?«, wiederholten die Eltern nur und machten die Augen schmal.
    »Auch arbeiten, klar. Viola wird da ihr Studium zu Ende bringen, ihre Magisterarbeit schreiben, emsig in Bibliotheken rackern, Listen und Fristen einhalten.«
    »Und du?«, fragten die Eltern. »Was ist eigentlich mit diesem Philosophiestudium?«
    »Ach, ich …« Ich guckte auf den Boden. Hatte ich mich nicht schon längst aus der ersten Reihe verabschiedet? Agierte ich nicht schon seit geraumer Zeit eher aus dem Hintergrund als eine Art Seniorberater meines eigenen Lebens? Ich hege Zweifel, führe Bedenken an, gebe manchmal noch einen Tipp – aber Entscheidungen? Nee, nee.
    Längst schubsen mich zwei mächtige Agenten durchs Leben. Sie manipulieren, ideologisieren, spindoctorieren – und vor allem: sie verkomplizieren. Sie sind CYL -Agenten: Complicate Your Life, Georg!
    Der eine ist der Kriegsführer Hannibal. Der andere Patachon, unser Hausfisch. Helden meiner Kindheit. Und jeder hat sein Prinzip.
    Hannibal sagt: »Das ist eure letzte Chance.«
    Patachon sagt: »Hauptsache anders. Hauptsache nicht normal.«
    Hannibal und Patachon, Feldherr und Goldfisch: Sie sind wie zwei Flipperhebel, die mich – eine nicht mehr ganz blankpolierte Kugel – durchs Spielfeld schießen, mal Punkte machen, mal versenken. Sie sind wie …
    »Hallo?« Was mit mir eigentlich los sei. Die Eltern schauten beunruhigt. Man wird doch wohl noch mal nachfragen dürfen, wenn der eigene Sohn ohne Plan und Beruf samt zwei Enkeln und Schwiegertochter ins Ausland abdüst, ohne dass der gleich in einsilbige Grübeleien verfällt.
    »Jaaaa«, meinte ich, und es klang vielleicht genervter, als es hätte klingen sollen. Aber ich hörte ihn schon. Seine festen, polternden Schritte. Von tief drinnen. Diesmal hat er seine Elefanten mitgebracht, dachte ich noch. Er wird wieder brüllen und er wird nicht mit sich reden

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