Aus Liebe zum Wahnsinn
Gesprächspause sagte sie plötzlich: »Four kids?«, sie fixierte mich, schüttelte anerkennend den Kopf: »Four kids without religion!«
Die Frau über Eck stellt jetzt die Königsfrage.
»Habt ihr das eigentlich alles so geplant?«
»Was so geplant?«, stelle ich mich dumm.
»Eben das mit der Familie. Dass ihr mit Anfang dreißig plötzlich mit einer halben Fußballmannschaft dasteht.«
Vielleicht ist das ja der richtige Zeitpunkt, die Pferde rumzureißen, die Retourkutsche anzuspannen und die Frau über Eck ein wenig nach Tabus abzutasten: »Sag mal, darf ich dich fragen, wie oft pro Woche du eigentlich Sex hast? Welche Stellung magst du? Und welche machst du nur so mit? Mich würden die Themen Orangenhaut, Gehaltszettel und Intimrasur interessieren. Und wenn wir schon mal dabei sind: Was glaubst du, hält deine beste Freundin eigentlich wirklich von dir. Ganz ehrlich? Eine hässliche Wahrheit bitte.«
So etwa.
Mache ich aber nicht.
Ich könnte auch über Planung und Planbarkeit an sich sprechen. Ich könnte Gurus ins Feld führen, Eric Young zum Beispiel, Koryphäe auf dem Feld der Veränderungsprozesse: Wir können nur zwei Dinge mit absoluter Sicherheit wissen, könnte ich dozieren. Erstens, dass in 20 , sogar schon in zehn Jahren die Welt ganz anders aussehen wird als heute. Zweitens, dass alles, was wir tun, sich darauf auswirkt.
Das Blöde ist nur: Wir haben keine Ahnung, wie.
Vielleicht würde die Frau über Eck wieder ihr »Okay« reingeben. Und ich würde nur den Kopf schütteln.
»Nein, nichts ist okay. Wir hinken. Wir hinken gnadenlos hinterher. Noch immer verteilen wir Sternchen für Plan und Kontrolle. Noch immer denken wir, man müsse vor allem einen Lebensplan entwerfen, seine Ziele im Auge behalten. Dann, ja dann werde alles prima.«
Spätestens zu diesem Zeitpunkt würde die Frau über Eck auf Misstrauen umsatteln.
»Ja, was denn sonst? Sollen wir einfach so in den Tag hineinleben?«
»Wir tun es ohnehin«, würde ich antworten. »Längst ist klar: Plan und Kontrolle sind nichts anderes als Mist und Illusion. Lage ist Auftrag genug. Biographien werden heute nicht mehr entworfen und dann schlicht abgelebt. Wir leben im Zeitalter der strukturellen Unwägbarkeiten. Die Zukunft ist unbestimmbar. Zurück zur Eingeweideleserei. Wir alle fahren nur noch auf Sicht: Das sind harte Zeiten für Kontrollfreaks. Und gute Zeiten für diejenigen, die mit Unsicherheit leben können, die sich immer neu auf Veränderungen einstellen können.«
Das alles könnte ich sagen auf die Königsplanungsfrage. Ich könnte noch hinzufügen, dass eine Großfamilie nichts Geringeres ist, als das perfekte Trainingsgelände für Unwägbarkeiten. Könnte ich.
Stattdessen sage ich: »Ja, alles geplant. Von langer Hand. Ich war zehn Jahre alt, als ich meinen Lebensplan verabschiedet habe: Mit 22 heiraten, in den nächsten zehn Jahren sechs Kinder in die Welt setzen, dann ein Jahr Pause, ab 33 wollte ich dann glücklich sein. Und was soll ich sagen? Es hat funktioniert. Stick to the plan. Das Leben ist so einfach. Und alles ist genau so eingetroffen, wie ich es von Anfang an geplant hatte. Chapeau! Mein streng planwirtschaftliches Lebenskonzept.«
Die Frau über Eck blinzelt mich an, wieder lässt sie die Augen länger geschlossen als nötig. Diesmal ist es eine Mischung aus sexy und genervt. Oder ist sie nur noch genervt?
Und sie holt wieder Luft.
»Hast du Geschwister?«
Ich lächle. Ein Treffer. Das ist wie beim Schiffeversenken, wenn das kleine, gutgetarnte Zweierboot plötzlich angeschossen wird: »H 4 « – und das Ding ist gelaufen. Klar, mit etwas Glück bolzt sie vielleicht noch ein paar Mal ins Wasser rundherum. Eine Frage der Zeit. Sie hat mich.
»Fünf Brüder«, antworte ich.
Der Frau über Eck ist die Erleichterung anzusehen, das Aufatmen. Endlich. Das also ist das Geheimnis. Ein Konservativer. Einer, der einfach nachmacht, was ihm vorgelebt wurde: Copy and Paste. Er hat’s einfach nicht besser gewusst.
»Fünf Brüder? Dann bist du das einfach so von zu Hause gewöhnt.«
»Jaja«, nicke ich.
»Wie der Vater, so der Sohn.«
»Ja, und da ist noch Luft nach oben. Mein Vater hat sieben Geschwister, meine Mutter sogar acht.«
Das Frau-über-Eck-Gesicht nickt mit breitem quod-erat-demonstrandum-Grinsen. Siehste? Fall abgeschlossen. Nächster, bitte.
Pause.
Dann sage ich: »Aber obwohl ich der Zweitjüngste bin, haben wir immer noch die absolute Enkel-Mehrheit.«
Jetzt schaut sie
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