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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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Kriegs auf ähnliche Weise gekennzeichnet worden, die deutschen Juden waren dieser Demütigung bisher entgangen.
    Goebbels war in diesem Sommer und Frühherbst nicht der einzige, der Hitler zur Deportation deutscher Juden drängte. Gleich nach einem britischen Luftangriff auf Hamburg am 15. September schrieb der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann an Hitler und bat ihn um die Genehmigung zur Deportation der Juden der Stadt, damit Wohnraum für die nichtjüdischen ausgebombten Hamburger frei würde. Hitler hatte inzwischen eine ganze Reihe von Vorschlägen aus verschiedenen Quellen zur Deportation der Juden erhalten, unter anderem von Alfred Rosenberg, der Juden aus Mitteleuropa nach Osten abschieben wollte als Vergeltung dafür, daß Stalin die Wolgadeutschen nach Sibirien verschleppt hatte. Und plötzlich änderte Hitler, nachdem er wenige Wochen zuvor noch gesagt hatte, die deutschen Juden dürften nicht deportiert werden, seine Meinung. Im September entschied er, daß die Vertreibung nach Osten nun doch beginnen könne.
    Man sollte jedoch in dieser Umkehrung der politischen Linie keinesfalls das Bild eines wankelmütigen Hitler sehen, der sich den Wünschen seiner Untergebenen fügte. Sein Verhalten war mindestens ebensosehr von der Entwicklung der militärischen Lage bestimmt. Hitler hatte immer gesagt, die Juden würden am Ende des Krieges deportiert werden, und im September 1941 schien es ihm, als sei das nur eine Sache von Wochen: ein paar Wochen Unterschied zwischen der Deportation »nach Kriegsende« und der »jetzt«. Kiew stand vor dem Fall, und Moskau schien weit offenzustehen, deshalb hoffte Hitler noch, daß die Sowjetunion vor dem Winter besiegt sein würde.
    Es blieb natürlich noch die Frage, wohin mit den Juden. Himmler hatte schon eine Antwort: Sollte man die Juden aus dem Reich nicht einfach zu den polnischen Juden in die Ghettos stecken? Am 18. September schrieb Himmler an Arthur Greiser, Gauleiter des Warthegaus, und bat ihn dafür zu sorgen, daß das Ghetto Łódz 60 000 Juden aus dem »Altreich« aufnehmen könne. Himmler wußte allerdings, daß diese Lösung nur eine vorübergehende sein konnte, denn das Ghetto von Łódz war, wie ihm die Verwaltung sofort mitteilte, bereits völlig überfüllt.
    Die siebzehnjährige Lucille Eichengreen 3 gehörte zu den ersten deutschen Juden, die nach dieser Änderung der politischen Linie deportiert wurden. Als im Oktober 1941 ihre Mutter einen Einschreibebrief erhielt, sie solle sich mit ihren Töchtern darauf vorbereiten, binnen 24 Stunden Hamburg zu verlassen, ahnte niemand – auch diejenigen nicht, die sie loswerden wollten –, was für ein langer und gewundener Weg vor ihnen lag. Die Familie Eichengreen litt ohnehin schon genug. Lucilles Vater, ein polnischer Staatsangehöriger, war zu Beginn des Krieges abgeholt und nach Dachau gebracht worden. 18 Monate später, im Februar 1941, hörten sie endlich von ihm: »Die Gestapo kam zu uns, in Hut, Ledermantel, Stiefeln, der üblichen Uniform«, berichtet Lucille Eichengreen. »Sie knallten eine Zigarrenkiste auf den Küchentisch und sagten: ›Das ist die Asche von Benjamin Landau [ihrem Vater].‹ Ob das nun die Asche meines Vaters war oder einfach eine Handvoll aus dem Krematorium in Dachau werden wir nie wissen. Der Tod meines Vaters traf uns sehr, vor allem meine Mutter und meine kleine Schwester; sie war richtig traumatisiert dadurch.« Und jetzt, acht Monate nachdem sie vom Tod ihres Vaters erfahren hatten, verließen Lucille, ihre Schwester und ihre Mutter ihr Wohnung zum letzten Mal und machten sich an den Hamburger Bürgern vorbei auf den Weg zum Bahnhof. Sie trafen unterwegs auf keinerlei Mitleid wegen ihrer Not. »Sie [die Nichtjuden] standen mit steinernem Gesicht da«, sagte Lucille. »Sie riefen uns entweder eine Beschimpfung nach oder sahen weg. Es machte mich nicht ärgerlich. Es machte mir angst!«
    Uwe Storjohann 4 , damals 16 Jahre alt, war einer der Hamburger, die zusahen, als die Juden vorbeimarschierten. »Vielleicht 20 Prozent der Leute begrüßten das mit großer Freude«, sagt er. »Sie riefen ›Gott sei Dank, daß diese nutzlosen Esser verschwinden‹, und ›Das sind doch nur Parasiten‹, und sie klatschten Beifall. Aber die große Mehrheit überging das, was da geschah, mit Schweigen. Und das ist die Masse der Bevölkerung, die später in den Jahren nach dem Krieg sagen sollte: ›Ich hab nichts davon gewußt. Wir haben nichts gesehen.‹ Sie reagierten, indem sie

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