Auschwitz
entdeckte Quelle stützt die Annahme, daß noch in der zweiten Septemberwoche keine Entscheidung gefällt worden war, ein neues Lager zu bauen. Die Entdeckung fehlender Teile aus Himmlers Dienstkalender in einem russischen Archiv hat in den neunziger Jahren 7 eine genaue Erforschung seiner Schritte und seiner Telefongespräche während dieser entscheidenden Zeit erlaubt. Sie zeigt, daß Himmler am 15. September mit Reinhard Heydrich und Oswald Pohl, dem Chef des Hauptamts Verwaltung und Wirtschaft, das Problem der Kriegsgefangenen erörterte. Es folgte am nächsten Tag ein Telefonat mit Pohl, bei dem es, einer Notiz in Himmlers Dienstkalender zufolge, um »100 000 Russen« ging, die vom KZ-System übernommen werden sollten. Am 25. September befahl das OKW (Oberkommando der Wehrmacht), daß 100 000 Kriegsgefangene dem Reichsführer-SS zu überstellen seien. Am 26. September befahl Hans Kammler, Leiter des Bauwesens der SS, den Bau eines neuen Kriegsgefangenenlagers in Auschwitz.
Dieses neue Material läßt also doch vermuten, daß die letzte Entscheidung zum Bau von Birkenau im September 1941 gefallen ist, nicht im März. Es kann natürlich sein, daß Himmler die Möglichkeiten des Geländes bereits erkannte, als er Auschwitz im Frühjahr besuchte, und vielleicht hat er Höß gegenüber sogar erwähnt, daß es eines Tages der geeignete Standort für eine Erweiterung sein könnte. Die Häuser des kleinen Dorfes Birkenau wurden im Juli 1941 geräumt und die Bewohner woandershin transportiert; daraus könnte man entnehmen, daß die Verwaltung zumindest ein Potential erkannt hätte, aber es wurden auch andere Bereiche bei der Festlegung des »Interessengebiets Auschwitz« geräumt. Wahrscheinlich ist jedenfalls, daß es bis September keine konkreten Beschlüsse über Birkenau gab.
Die Aufgabe, das neue Lager zu planen und zu bauen, fiel Hauptsturmführer Karl Bischoff zu, dem neu ernannten Leiter der Zentralbauleitung von Auschwitz, und dem Architekten Rottenführer Fritz Ertl. Eine Untersuchung ihrer Pläne zeigt, daß sie von Anfang an die Unterkünfte stark zu überfüllen gedachten, zu stark, als daß sich menschliches Leben da erhalten ließe. Nach dem ersten Plan sollte jeder Block 550 Häftlinge aufnehmen können, was bedeutete, daß für jeden Insassen nur ein Drittel des Raums vorgesehen war, den Gefangene in den Konzentrationslagern im »Altreich«, wie etwa Dachau, hatten. Aber die Pläne zeigen auch, daß selbst das noch nicht dicht genug gepackt war nach Ansicht der SS-Planer: In einer handschriftlichen Änderung war die Zahl 550 ausgestrichen und durch die Zahl 744 ersetzt worden. Die Gefangenen in Birkenau sollten also mit jeweils einem Viertel des Raums auskommen, der Häftlingen in Konzentrationslagern in Deutschland zugestanden wurde.
In den ersten sieben Monaten des Kriegs gegen die Sowjetunion nahmen die Deutschen drei Millionen Soldaten der Roten Armee gefangen. Im Laufe des Krieges waren es insgesamt 5,7 Millionen, von denen 3,3 Millionen in der Gefangenschaft starben. Nach dem Krieg versuchte man zu behaupten, diese erschreckenden Verluste habe es gegeben, weil die Deutschen nicht damit gerechnet hätten, so schnell so viele Gefangene zu machen, und deshalb keine angemessenen Vorkehrungen getroffen hätten. Aber diese Entschuldigung ist nur Tarnung für eine finstere Wahrheit: Wie die Protokolle der ökonomischen Planungen zeigen, die wir im ersten Kapitel untersucht haben, wurde mit massenhaftem Verhungern in der Sowjetunion gerechnet als Folge dessen, daß die deutsche Wehrmacht sich während des Krieges »auf Kosten« der sowjetischen Bevölkerung ernähren würde. Und die Pläne für die Erweiterung des Lagers Auschwitz in Birkenau paßten genau ins Muster des gezielten Versuchs, die sowjetischen Kriegsgefangenen in eine Umgebung zu verschleppen, wo unvermeidlich sehr viele von ihnen sterben würden.
Wie beim ursprünglichen Lager Auschwitz mußten die Gefangenen Birkenau selbst errichten. Zu diesem Zweck wurden im Herbst 1941 10 000 sowjetische Kriegsgefangene nach Auschwitz geschickt. Der polnische Gefangene Kazimierz Smoleń 8 erlebte ihre Ankunft mit: »Es schneite bereits – es war ungewöhnlich, daß im Oktober schon Schnee fiel –, und sie [die sowjetischen Gefangenen] wurden ungefähr drei Kilometer vom Lager entfernt aus den Zügen ausgeladen. Sie mußten alles ausziehen und in Fässer voller Desinfektionsmittel steigen, und dann marschierten sie nackt nach Auschwitz. Fast
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