Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Mama. Das macht den Kopf frei.« Ich inspiziere die Vorräte in der Küche und mache mich daran, Gemüse zu schneiden, Fleisch zu marinieren, Fisch zu filetieren und schlage Unmengen an Eigelb für ein üppiges Dessert mit der Hand auf. Ellen lässt mich gewähren, obwohl sie sich über die große Auswahl und die riesigen Portionen wundert. Sie fragt sich, wer das alles essen soll. Aber so bin ich. Eine leidenschaftliche Köchin, eine genussvolle Feinschmeckerin und eine hervorragende Gastgeberin mit dem Hang zur übertriebenen Maßlosigkeit. Mit einem kleinen Weidenkorb und einer Schere bewaffnet, schreite ich durch den Garten. Ich pflücke frische Lorbeerblätter und greife mir reife Zitronen und Orangen vom Baum. Aus dem Kräuterbeet schneide ich kleine Zweige Rosmarin und atmete den Duft tief durch die Nase ein, als das laute Klingeln des Telefons mich aufschreckt.
»Wenn das wieder Steffen ist, sag ihm, ich wäre am Strand. Ich will nicht mit ihm sprechen!« Der Anrufer ist nicht Steffen, sondern meine Schwester. Sie ist seit einer halben Stunde Witwe.
Um elf Uhr vormittags hat Sophie schon ihren zweiten Seelentröster intus. Ich trinke in der gleichen Zeit drei. Sie erzählt noch einmal von den letzten Minuten mit ihrem Lars und redet über die anstehende Beerdigung. Wenn die erst mal vorbei ist, wird sie auch loslassen können.
»Du säufst ja mehr als deine Schwester! Wer ist denn hier die Witwe?« Auf diesen Zynismus gibt es nur eine Antwort.
»Ich wünschte, ich wäre die Witwe!« Aufgebracht schreie ich mir meinen ganzen Frust von der Seele. Jedes Mal, wenn das Wort »Mistkerl« über meine Lippen kommt, schenkt Sophie nach. Ellen schimpft mit uns.
»Hört zu, ihr blöden Bälger. Ich habe euren Vater überlebt, der mich jahrelang betrogen hat. Und ich habe Peter überlebt, der war zwar treu, aber herzkrank. Euer Leben geht auch weiter, es sei denn, ihr beschließt, euch hier heute tot zu saufen. Wenn ihr das vorhabt, dann Beeilung. Der Termin zur Überführung ist nämlich fix in zwei Wochen.« Mit diesen Worten nimmt sie die Flaschen vom Tisch und geht zurück ins Haus.
An Schlafen war die ganze Nacht nicht zu denken. Am Morgen zeigt mein Handy zehn Anrufe in Abwesenheit. Da ich aber schon mit Frederik gesprochen habe, kann es nur der Mistkerl gewesen sein.
»Ich werde mich scheiden lassen!«
»Meinen Segen hast du.« Dass meine Mutter das sagt, ist keine große Überraschung.
»Ich werde keinen Tag länger mit ihm in unserem Haus wohnen. Ich schmeiße ihn raus.«
»Dann wollt ihr künftig als Nachbarn neben einander leben?« Sophie trinkt ihren Frühstückskaffee mit Schuss. Sie schwört darauf. »Das hilft gegen den Morgenkater.«
»Auch ein Tipp von Dr. Schmelzer?« Ellen ist wütend. »Dem sollte man die Approbation entziehen!«
»Hör zu Schwesterchen, du hast meinen Hausschlüssel und kannst jederzeit bei mir wohnen«, bietet Sophie mir an. Ich bleibe bis Neujahr. Wie schön es im Süden ist, denke ich noch, als Ellen mir zum Abschied nachwinkt.
In Hamburg gelandet, schalte ich mein Handy ein. Ungelesen lösche ich 45 neue Nachrichten und 37 Anrufe in Abwesenheit. Ein Taxi fährt mich in die Eichenallee. Im Vorgarten der Hausnummer 19 fegt die Frau, der ich am liebsten die Augen auskratzen würde, Feuerwerkkörper der vergangenen Silvesternacht zusammen.
»Sie sind aber fleißig, Frau Kaltenbach.«
»Sind Sie zurück von Ihrer Schwester? Ihr Mann hat mir vor seiner Abreise davon erzählt. Mein Beileid, Frau Simon.«
»Ja, es ist schon schlimm, wenn man von heute auf morgen ohne Mann da steht. Sie kennen das ja auch irgendwie, wenn auch nicht als Witwe. Haben Sie gar keinen Kontakt mehr zu Ihrem getrennt lebenden Ehemann?« Ich bin auf beide der möglichen Antworten vorbereitet und konter mit Variante eins. »Ich schon! Wir haben uns gerade vor einigen Tagen getroffen und richtig nett geplaudert. Sie glauben gar nicht, wie aufschlussreich die Unterhaltung für mich war.« Ich brauche nicht weiter zu sprechen. Elke weiß genau, was Inhalt dieses Gespräches war. Sie läuft puterrot an und bleibt stumm.
»Gratuliere. Sie haben es geschafft, eine 26 jährige Ehe zu zerstören. Aber die gerechte Strafe folgt auf dem Fuße. Nun haben Sie Steffen an der Backe und müssen ihn behalten! Irgendwann werden Sie merken, wen Sie sich geangelt haben. Allerdings ist es dann zu spät, denn vom Umtausch ist er
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