Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Tag wiederzubringen. Thomas bietet sich an, mich nach Hause zu fahren.
»Die Adresse kenne ich ja, Eichenallee, oder?« Ich habe keine Wahl und bin auch viel zu angeschlagen, um lange zu widersprechen. »Merci beaucoup«, bedanke ich mich vor der Hausnummer 17 und wanke zur geöffneten Haustür. Steffen erwartet mich schon.
»Wer war das und wo ist dein Wagen?«
»Das war der Einscheiben-Wurst-Mann und er hat einem verdammt guten Käsegeschmack.«
»Du bist ja blau!« Steffen schaut mich ungläubig an.
»Und du bist wach, Donnerwetter!« Ich lasse mich sofort aufs Sofa fallen und schlafe sofort ein.
Mein Mund ist staubtrocken und ich verspüre einen stechenden Durst, als ich aus meinem Rausch erwache. Es ist schon dunkel draußen und im Wohnzimmer brennt kein Licht. Steffen ist also nicht zu Hause, denke ich beim vorsichtigen Aufstehen. Ich gehe in die Küche und schnappe mir eine Flasche stilles Wasser aus dem Kühlschrank und trinke den Inhalt im Stehen aus. Auf dem Küchentisch liegt ein Zettel.
Bin zur Weihnachtsfeier mit den Kollegen. Habe Bruno gefüttert!
».. mit den Kollegen«, wiederhole ich höhnisch. Ich ärgere mich über das Wort »Kollegen«. Steffen hat keine Kollegen. Wer von Kollegen spricht, sollte auch arbeiten. Steffen arbeitet aber nicht. Er nimmt seit sechs Jahren an einem kostspieligen Fernstudium für Naturheilkunde teil, das ich artig in monatlichen Raten bezahle. Ursprünglich war ich froh darüber, dass er nach fast zwanzig Jahren Hausmann Tätigkeit endlich den Hintern hoch bekam. Er lernt fleißig die Anatomie des menschlichen Körpers. Dank zahlreicher Zusatzkurse kann er sogar schon kluge Reden über die Ursache und Wirkung negativen Stresses auf die menschliche Psyche und Physis halten. Noch vor einigen Monaten schimpfte ich laut über die hohe Rechnung für dieses Sonderseminar.
»Das hätten wir auch billiger haben können. Du hättest mich nur fragen müssen, ich hätte es dir umsonst erklärt. Ursache bist du! Wirkung? Du regst mich auf und machst mich krank!« Es wurmt mich schon lange, dass er nicht aus dem Quark kommt und wie selbstverständlich von meinem hart verdienten Geld lebt. So langsam geht mir die Geduld aus. Wie lange soll seine Studiererei noch gehen? Resigniert stellte meine Mutter vor Kurzem in einem Telefongespräch mit mir fest: »Dir ist einfach nicht mehr zu helfen. Dein Mann ist und bleibt ein notorischer Faulpelz. Zeig mir einen Vater, der zwanzig Jahre Elternzeit nimmt. Und nun finanzierst du ihm auch noch diese dubiose Ausbildung.« Ich wusste, dass sie im Recht war. Aber reflexartig stellte ich mich wie eine Löwin vor meinen Mann.
»Mama!«, fauchte die Löwin, »ich kenne deinen Standpunkt, aber halte dich bitte an unsere Abmachung. Ich hatte auch nie das Recht, dir in dein Leben reinzureden.« Ich nehme es meiner Mutter auch nach 35 Jahren immer noch übel, dass sie sich von meinem Vater scheiden ließ und ihre Selbstverwirklichungspläne über die Bedürfnisse ihrer beiden Töchter stellte. Ich schalte den Fernseher an und lümmel mich aufs Sofa. Mit einem Sprung setzt Hund Bruno zur gezielten Landung am Fußende an. »Leg dich schön hin«, erlaube ich meinem Schnuffel. Der Hund dreht sich solange bis er eine bequeme Liegeposition findet. Ich zappe durch alle Programme, finde aber nichts, was mich aus meiner Katerstimmung ziehen kann. Wilde Gedanken kreisen in meinem Kopf herum. Rotwein wirkt immer so auf mich. Für einen kurzen Moment bringt er mich in Hochstimmung, aber dann lässt er mich wie ein missglücktes Soufflee zusammenfallen. Und nach dem Erwachen, versetzt er mich in depressive Stimmung. Ich nehme mir fest vor, dieses Teufelszeug nie mehr anzurühren. Für eine letzte Runde gehe ich noch mit dem Hund um den Block. Als ich zurück komme, steht mein Wagen wieder vor der Tür. An der Windschutzscheibe klebt eine Visitenkarte. Auf der Rückseite steht in schönster Handschrift geschrieben, Die Schlüssel liegen im Briefkasten. War richtig nett mit dir. Liebe Grüße Thomas. Ich öffne die Haustür und sehe ein kleines Päckchen auf dem Boden liegen und öffne es neugierig. Neben meinem Schlüsselbund finde ich auch noch eine Handvoll Kräuterbonbons. Ich muss schmunzeln und lege die Süßigkeiten mit der Karte in die leere Obstschale auf den Küchentresen. Was für ein Tag, denke ich und gehe schlafen.
In der Nacht hat es Schnee gegeben. Soviel Schnee, dass die Verkehrsdurchsage volle
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