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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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nächsten Augenblick aber hatte er sich wieder im Griff.
    Erhobenen Hauptes trat er vor den Clan: »Da, wo der Wille groß ist, können die Schwierigkeiten nur klein sein!«, verkündete er und sah mich an, als habe er gerade Kot in Urin verwandelt. Zugegeben: Ist eine krasse Sache, Kot in Urin zu verwandeln. Nur hat keiner etwas davon. Der Clan verharrte in gespannter Stille. »Machiavelli«, flüsterte er mir zu. Ich hatte so eine Ahnung, dass wir auf unserem Grundeis gleich ganz fix den Bach runtergehen würden. Doch es kam anders.
    »Und was genau soll ich jetzt machen?«, wiederholte Nino.
    »Was du jetzt machen sollst?« Blitzschnell schlug sich Rufus dreimal seine Klaue aufs Ohr. »Das werde ich dir sagen.« Bedeutungsvoll hob er seinen Notizblock auf und begann zu blättern. »Nino, Nino … Wo habe ich dich … Ah, hier: Nino.« Er blickte auf: »Grabungsteam
Drei

    Stille.
    »Ist das cool?«, wollte Nino wissen.
    »Das ist
super
cool!«, rief Rufus.
    Darauf brach erst Nino und anschließend der gesamte Clan in Jubelrufe aus. Fassungslos spickte ich auf den Zettel, den Rufus vor sich hatte. Er war leer. Nicht ein Strich drauf.
    »Ich neige dazu, dich zu unterschätzen«, flüsterte ich.
    »Fußball ist Ding, Dang, Dong«, raunte mir mein Bruder zu. »Es gibt nicht nur Ding.«
    »Schon wieder Machiavelli?«
    »Trapattoni.«
    Was mein kleiner Bruder mit Ding, Dang, Dong meinte, zeigte sich, nachdem der Jubel abgeebbt war. Als hätte er alles wochenlang vorbereitet, rief er die »Operation Sisyphos« ins Leben und teilte vier Grabungsteams ein. Es würde einen Wettbewerb geben, erklärte er: Die Geschwister aus den Würfen zwei bis fünf sollten gegeneinander antreten. Operationsziel sei der Grünstreifen zwischen dem Flamingohaus und dem Elefantengehege. Dasjenige Team, das als erstes eine menschliche Leiche entdecke, dürfe eine Woche lang bestimmen, welche Videos auf dem Sechzehn-zu-Neun-Smartphone gezeigt würden, das wir Phil als Bezahlung abverlangt hätten. Der erste Wurf – Rocky, ich, Roxane und er – würden unterdessen das Projekt leiten und auswerten. Konkret bedeutete das: Rocky würde die Grabungsteams beaufsichtigen und Rufus die Koordination übernehmen, während ich die Mission überwachen sollte. Roxane würde das tun, was sie ohnehin am liebsten tat: sich auf den Hügel begeben, posen, was das Zeug hielt, jedem Touristen mit Kamera ihre entblößten Nippel ins Bild strecken und den Anschein erwecken, alles sei wie immer. Am Ende war selbst ich ganz berauscht von der »Operation Sisyphos«, ballte die Klaue zur Faust und reckte sie über meinen Kopf: »Lebendessen für alle!«, rief ich.
    »Lebendessen für alle«, brüllte der Clan.
    Pa trat vor und legte Rufus und mir bedeutungsschwer seine Klauen auf die Schultern: »Ich habe nie an euch gezweifelt«, verkündete er.
    Ma nuschelte, so viel Zusammenhalt habe sie seit Chesters Tagen nicht erlebt – als alle noch die gemeinsame Erinnerung an die gute alte Zeit in der Savanne teilten. Beiläufig rieb sie sich die Augen: »Du hast dem Clan wieder einen Sinn gegeben, Ray«, sagte sie. »Und das ist wichtiger als alles andere.«
    Nach diesen Worten war auch ich von meiner Heldentat so gerührt, dass ich mit den Tränen rang. Und kurzfristig unterlag.
    Doch ich kam schnell drüber weg. Kurze Zeit später saß ich in der Morgensonne, wärmte mir das Bauchfell, grüßte lässig die ersten Zoobesucher und warf ihnen hin und wieder abfällige Bemerkungen an den Kopf.
    Offenbar war auch Elsa mein Aufstieg nicht entgangen. In ihrem Käfig gibt es eine chromglänzende Stange, die sie eigentlich nie interessiert hat. Heute Morgen allerdings vollführte sie daran die kunstvollsten Verrenkungen, wand sich schlangenartig um das kalte Metall, hielt sich, die Pfote über Kopf, daran fest, bog den Rücken durch und spreizte eine Hinterpfote ab. Vom Pavianfelsen waren aufmunternde Pfiffe zu hören, die jedoch an ihrem Glitzerfell abperlten wie Regentropfen. Elsa ließ sich nichts anmerken, wirkte, als absolviere sie einfach ihr morgendliches Gymnastikprogramm. Doch sie wusste, dass ich sie beobachtete, und Morgengymnastik war ihr bislang stets meilenweit an ihren ultraflauschig bepelzten Hinterbäckchen vorbeigegangen. Es gab also nur eine Erklärung: Ich kam gerade in den bittersüßen Genuss einer Exklusivvorstellung.
    Zusätzlich zu den Glückshormonen, die seit gestern Abend in meinen Bahnen kreisten, wurde ich von einer Welle weiterer Hormone

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