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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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gebunden?«, vergewissert sich Phil.
    Rufus entgegnet: »Die Papiereinbände werden unter der Erde schnell unansehnlich.«
    »Unansehnlich …« Gedankenverloren steckt Phil die Zettel zu den Servietten in die Jackentasche.
    Im selben Moment ertönt eine Stimme: »Ist das Ihre Tüte da?«
    Hinter Phil steht Opa Reinhard. Ein sehr großer Haufen fleischgewordene Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Gutmütig, arglos, hilfsbereit und beinahe so begriffsstutzig wie Ursula, die Nashornkuh. Jetzt, wo ich es erwähne: Zwischen den beiden könnte eine entfernte Verwandtschaft bestehen. Opa Reinhard deutet auf die blaue Tüte, die noch im Gehege liegt.
    »Nö«, antwortet Phil.
    Opa Reinhard knetet sein Kinn. »Dann ist das nicht Ihre Tüte?«
    »Nö.«
    »Verstehe.« Opa Reinhard schweigt. Bis er einen Gedanken fallenlassen und einen neuen aufnehmen kann, dauert es ein bisschen. »Gehn müssen Sie trotzdem«, fällt ihm ein. »Der Zoo hat schon geschlossen. Ich bring Sie mal lieber zum Ausgang …«
    Die beiden wackeln davon in die Dunkelheit. »Hey, Phil«, rufe ich ihm nach. »Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Mit Opa Reinhard ist nicht zu spaßen. Sobald er seine Brille aufsetzt, ist er brandgefährlich.«
    Rufus versucht vergeblich, ein Kichern zu unterdrücken.
    Phil wendet seinen Kopf und wirft mir und meinem Bruder einen letzten Blick zu: Mann, seid ihr witzig.

Kapitel 4
    »Hey, Ray, wie geht’s? Huch, das reimt sich ja: Hey – Ray. Hihi.«
    Bis eben habe ich gedacht, dass dies möglicherweise der glücklichste Tag meines Lebens werden könnte. Jetzt allerdings steht Roxane neben mir. Und zwar so dicht, dass meine Vorderpfote gar nicht anders kann, als sich in ihren Bauch zu drücken. Jahrelang sind wir einander erfolgreich mit Nichtbeachtung begegnet, und jetzt meint sie plötzlich, sich an mir reiben zu müssen. Wenn Rocky das sieht, gibt’s Ärger. Der ist sowieso seit zwei Tagen am Testosteron-Anschlag. Ich würde das Risiko einer Keilerei ja eingehen – wenn Roxane nicht Roxane wäre. Sondern Elsa. Für die würde ich es sogar mit Otto, dem Weißkopfseeadler, aufnehmen. Roxane aber
ist
Roxane. Hat den Grips einer ausgefressenen Chipstüte und den Sexappeal eines rosa Pferdchenballons.
    »Geh mal ein bisschen auf Abstand«, knurre ich.
    »Wieso? Hast du Angst, Rocky haut dir eins auf die Mütze, wenn er uns so sieht?«
    »Blödsinn. Du machst mich nur einfach so scharf, dass ich Angst habe, auf der Stelle über dich herzufallen.«
    Roxane drückt sich an mich. »Echt, jetzt?«
    »War ein Scherz, Roxi.«
    »Ach so, hihihi.« Sie denkt nach. Oder wie immer man das nennen will. Dabei streicht sie sich versonnen über die Hüften. »Du weißt ja: Wer von euch der Clanchef wird, der bekommt
mich
mit dazu.«
    Es klingt, als könne es nichts Schöneres geben, als Roxane zu irgendetwas dazuzubekommen. Beim Kauf von zwei Produkten Ihrer Wahl bekommen Sie eine Roxane gratis dazu! Das perfekte Geschäftsmodell, um sich möglichst effektiv in den Ruin zu treiben. Ich für meinen Teil würde lieber einen ausgespuckten Kaugummi nehmen als Roxane. Der verklebt einem zwar tagelang die Krallen, dafür ist man ihn irgendwann wieder los. Roxane aber ist eine Zerrung fürs Leben.
     
    Zurück zu dem Moment, bevor meine Schwester aus dem Bau gewackelt kam und dies noch der schönste Tag meines Lebens hätte werden können. Es fing so gut an. Ich stolperte wie üblich mit verquollenen Augen aus meiner Kammer – und wurde von dreißig applaudierenden Erdmännchen empfangen! Wie ich wünschte, Elsa hätte das sehen können! Da stand ich, ungeputzt, mit zerknautschtem Gesicht und nachtsteifen Krallen, und wurde vom Clan gefeiert. Ungelenk hob ich die Klauen in einer bescheidenen Dankesgeste. Und dann sagte ich das Beste, was mir je auf die Schnelle eingefallen ist: dass wir von nun an ein gemeinsames Ziel haben würden, eine Mission, und dass jedem Einzelnen von uns eine entscheidende Rolle bei dieser Mission zufalle.
    Staunendes Schweigen breitete sich aus. Durchbrochen wurde es von Nino, einem vorlauten Halbwüchsigen aus dem vierten Wurf: »Und was soll
ich
machen?«
    Ich blickte aus meinen verschwiemelten Augen in drei Dutzend erwartungsvoll gespannte Gesichter, spürte sehr deutlich, wie mir mein kleiner Hintern auf Grundeis ging, und warf meinen Notanker: »Rufus?«
    Rufus streifte mich mit einem Blick, der besagte, dass ich gefälligst ein bisschen rutschen solle, damit auch sein Hintern Platz auf dem Grundeis hätte. Im

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