Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
Vom Netzwerk:
»Hab anscheinend noch nicht genug intus.«
    »Lass stecken, Mann«, entgegne ich. »War ’n Scherz.«
    Phil schraubt den Flachmann wieder zu und verstaut ihn an seinem Platz. »Nicht genug damit, dass ich ein Erdmännchen als Subunternehmer an der Backe habe«, überlegt er. »Das Erdmännchen ist auch noch ein Witzbold.«
    »Reg dich ab, Mann. Bist du eigentlich immer so drauf?«
    »Wie bin ich denn drauf?«
    »Scheiße. Wenn ich so drauf wäre wie du, Mann, würde ich schon längst mit aufgeschlitzten Pulsadern im Sand liegen. Hast du keine Familie? Freunde, Bekannte, ein Haustier?«
    »Alles Sachen, die du nicht wissen willst«, meint Phil. »Sag mir lieber, ob ihr etwas gefunden habt.«
    »Ach so, ja.«
    »Ach so, ja?«
    Ich gebe zu: Es macht mir Spaß, ihn hinzuhalten. »Ja, wir haben etwas gefunden«, erkläre ich.
    »Eine Leiche«, sagt er. Er meint es als Scherz. Ist aber keiner.
    »Eine Leiche«, bestätige ich.
    Er wartet einen Moment. Schließlich nimmt er seine Brille ab und fixiert mich mit seinen traurigen blauen Augen: »Isnwitz.«
    »Iskeinwitz.« Und weil Phil es offenbar nicht glauben kann: »Das Opfer ist männlich, hat ein Einschussloch in der linken Brust und liegt seit höchstens drei Tagen unter der Erde.«
    »Der alte von Sieversdorf …« Ich muss mit ansehen, wie Phils traurige Augen noch trauriger werden, er sich mit beiden Armen auf dem Zaun abstützt und durch mich hindurch ins Nichts blickt. »Tut mir leid, Constanze …«
    Den Namen hat er gestern schon mal fallenlassen. »Die Tochter?«, unterbreche ich ihn in seinen Gedanken.
    »Meine Auftraggeberin, ja.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Was soll mit ihr sein? Sie hat ihren Vater verloren. Reicht das nicht?«
    Ich könnte Phil jetzt sagen, dass ich die Vermutung habe, dass noch etwas anderes mit Constanze ist, aber ich verkneife es mir. Vielleicht, überlege ich, trägt jeder Mann am Ende des Tages nicht nur seine eigene Savanne, sondern auch seine eigene Elsa mit sich herum.
    »Wo habt ihr ihn gefunden?«, will Phil wissen.
    »Wie steht’s mit unserer Bezahlung?«
    Phil greift sich die Tüte, die er am Zaun abgestellt hat: »›Geschichte der Philosophie des Abendlandes‹«, murmelt er ungläubig, »in Leinen.« Unauffällig setzt er die Tüte im Gehege ab.
    Kaum hat sie den Boden berührt, ist Rufus herbeigeeilt und darin verschwunden. »Alles klar«, sagte er. »Ich hatte zwar auf ein iPhone gehofft, aber Samsung ist auch okay.« Er pfeift Magnus und Mads aus dem fünften Wurf herbei, und gemeinsam schleifen sie die Tüte in den Bau.
    »Du hattest recht, Phil«, sage ich, als wir wieder zu zweit sind, nur Phil und ich, zwei Schnüffler bei ihrer Arbeit. »Die Leiche liegt unter dem Blumenbeet zwischen Flamingohaus und Elefantengehege.«
    Phil blickt zum Eiswagen hinüber, der seit inzwischen drei Tagen geschlossen ist. Und das, wo zurzeit jeden Tag Hundertschaften verwöhnter Schleckermäuler in den Zoo kommen. Bea lässt sich einen hübschen Umsatz entgehen. Aber den braucht sie anscheinend nicht mehr.
    »Damit ist der Fall wohl klar«, sage ich.
    »Ich weiß nicht«, überlegt Phil. »Irgendwie fällt es mir schwer zu glauben, dass diese Bea und ihr Mann den Alten erst ausgenommen, dann aus dem Weg geräumt und sich anschließend aus dem Staub gemacht haben sollen. Da ist mir zu viel Vorsatz im Spiel.«
    »Zu den Kindern war sie immer total nett«, sage ich.
    »Zu den Alten offenbar weniger.« Phil lässt sich die Tragödie des Menschseins einen Moment auf der Zunge zergehen, bevor er sie mit einem Schluck Whisky hinunterspült. »Ich werde einen guten Grund vorweisen müssen, wenn ich den Zoodirektor dazu bringen will, das Beet umzugraben«, überlegt er. »Kann ihm schließlich schlecht sagen, dass ich den Tipp von einem Erdmännchen habe.«
    Ich strenge meine grauen Zellen an: »Wir könnten den alten von Sieversdorf so hinrücken, dass ein Stück von seinem Finger aus der Erde guckt. Das könntest du dann zufällig bemerken …« Und weil ich heute, von dem Zwischenspiel mit meiner Schwester abgesehen, einen echt rekordverdächtigen Tag hatte, ergänze ich: »Wär umsonst. Freundschaftsdienst.«
    »Klingt toll«, sagt Phil mit unverhohlener Bitterkeit in der Stimme. »Bis morgen dann.«
    Er wendet sich ab, geht mit hängenden Schultern zum unteren Waldschänkenteich hinüber und verschwindet in der Menge. Ich bleibe noch eine Weile am Zaun stehen, blicke ihm nach, lasse das Gekreische der vorbeiziehenden Kinder zu einem

Weitere Kostenlose Bücher