Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
riesengroßen Unterschied zu Manufactum: Aldi ging den maximal preisorientierten Weg. Das hat sich zwar für einige Jahrzehnte als glänzender Weg für Aldi und seine Discount-Wettbewerber herausgestellt, wirft aber doch eine Menge Fragen auf. Wie gut kann die Discount-Idee aus Sicht des Unternehmens langfristig funktionieren? Welche gesellschaftlichen Folgekosten zieht die Preisfixierung in der breiten Bevölkerung nach sich? Was tun, wenn nach etlichen Preisrunden im Wettbewerb mit den anderen Discountern die Lieferanten irgendwann restlos ausgequetscht sind und die Bezugspreise nicht weiter gesenkt werden können, ohne die Lieferanten in die Pleite zu treiben? Was tun, wenn die Produktqualität unter dem Preisdruck so gefährdet ist, dass Skandale das Unternehmen bedrohen? Was tun, wenn die Margen so niedrig geworden sind, dass sich das Geschäft für die Kapitalgeber nicht mehr lohnt und die Unternehmensfinanzierung kollabiert? Was tun, wenn sich die Kunden oder gar die Lieferanten eines Tages von den Billigheimern abwenden und nach
Werten
fragen? Sind diese Gefahren Hirngespinste, oder existieren sie wirklich?
Aldi war – und ist vielleicht immer noch – der Weltmeister in Sachen Discount-Strategie. Man darf aber hoffen, dass Aldi seinen Zenit inzwischen überschritten hat. Denn auch dieser Pionier teilt mittlerweile das Los so vieler Unternehmen, deren genialer Gründer irgendwann aus dem Geschäft ausgeschieden ist. So wird die reine Lehre des sehr überschaubaren Sortiments nicht mehr hochgehalten und verteidigt. Um die 600 verschiedene Artikel im Sortiment genügten Aldi seinerzeit, also ein Bruchteil dessen, was ein durchschnittlicher Supermarkt im Laden hatte. Das Aldi-Angebot ist aber nach und immer breiter und immer »Non-Food«-lastiger geworden – das bedeutet, dass auch immer mehr Waren abseits der Lebensmittel ins Sortiment aufgenommen werden, vom PC bis zur Steppjacke. Aldi wird immer normaler und gehört heute, man glaubt es kaum, zu den größten Textilhändlern Deutschlands. 3 Der Unterschied zwischen den Lidls, Pennys, Nettos und Aldis dieser Welt besteht fast nur noch in der Farbe des Logos. Ach, nicht einmal das: Selbst die Logos sind alle sehr ähnlich.
Was bleibt, ist die Idee des Tiefstpreises. Und diese Idee hat so ziemlich alle anderen großen Händler infiziert: Auch die Fach- und Supermärkte wollen jetzt discount-billig sein, Supermärkte wie Rewe, Edeka, Real und Kaufland, Fachmarktketten wie Takko, Kik, Media Markt, Saturn, Möbel-Roller, Praktiker, Decathlon und nicht zuletzt die Sammelsurianer wie Tchibo, Depot, Butlers, Schlecker und so weiter. Sie alle haben zudem noch eine weitere große Gemeinsamkeit: Die Sortimente dieser Möbel-Sport-Klamotten-Deko-Kaffee-Shampoo-Elektronik-Heimwerker-Discoun ter wirken grosso modo wie der Plastikhaufen, den ein Schneepflug im Hafen von Schanghai zusammengeschoben und dann in ein Ladengeschäft gekippt hat.
Es ist völlig klar – und es muss auch allen Konsumenten klar sein –, dass ein dauerhaft niedriger und immer niedrigerer Verkaufspreis erkauft werden muss durch Abstriche bei anderen Produktmerkmalen. Und die haben alle etwas mit Qualität zu tun – ob es nun Service-Qualität ist, Qualität im Herstellungsprozess, Langlebigkeit, Gesundheitsverträglichkeit, Materialqualität, Gebrauchsqualität, Umweltverträglichkeit und nicht zuletzt soziale Aspekte. Irgendwo muss gespart werden. Und je länger die Preisspirale sich nach unten dreht, desto mehr dieser Faktoren sind umso stärker betroffen. Gute Qualität beim Discounter kaufen? Machen wir uns nichts vor!
Bought in Germany
Wir Deutschen verhalten uns wirklich merkwürdig. Wir halten uns auf der einen Seite für unglaublich qualitätsbewusst und sind stolz auf das Siegel »Made in Germany« – und das völlig zu Recht. Seit der berühmte britische Ingenieur Sir Joseph Whitworth auf der Weltausstellung von 1862 in London vor einer Werkzeugmaschine des Chemnitzer Maschinenbaupioniers Johann von Zimmermann stand, staunte und sich zu einem für britische Verhältnisse geradezu enthusiastischen »Very good, indeed!« hatte hinreißen lassen, seitdem eilt den deutschen Produkten in der Welt ein einzigartiger Ruf von Solidität und Verarbeitungsqualität voraus. Porzellan und Besteck waren die ersten Produktkategorien, die schon vor dem Ersten Weltkrieg mit »Made in Germany« angepriesen wurden. Es folgte ein einzigartiger Siegeszug der Vermarktung über beinahe hundert Jahre
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