Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
Wirtschaft, für unser ganzes Leben.
Aber damit es funktioniert, müssen wir dem Fluch des niedrigen Preises abschwören, wir müssen dem Fluch der niedrigen Kosten den Garaus machen, wir müssen den Fluch der hohen Renditen austreiben, wir müssen den Fluch des mächtigen Mainstreams eindämmen, wir müssen den Fluch der falschen Kundenorientierung bekämpfen und dem Fluch der großen Konzerne die Stirn bieten.
Wir müssen verstehen, wie diese Flüche miteinander zusammenhängen und welche Folgen sie haben. Wir müssen aufhören mit unserem Geiz und uns stattdessen besinnen auf sechs altehrwürdige Grundsätze, die uns unser Überleben in Wohlstand im 21. Jahrhundert und auch danach garantieren werden. Das ist kein Plädoyer für eine Revolution, sondern nur für eine entschlossene Trendumkehr: pragmatisch, ideologiefrei – und genussvoll. Es ist möglich, mit dem gleichen Budget besser zu konsumieren, und es ist möglich, die Wirtschaft dadurch zukunftsfähig zu machen.
Anfangen müssen wir beim billigen Preis. Er ist die Wurzel des Übels.
Teil I
Die Billigrepublik Deutschland
»Ein Preis, ein guter Preis,
das ist das Schönste,
was es gibt auf der Welt.
Denn Geiz bleibt immer geil,
und wenn die ganze Welt
zusammenfällt.«
Frei nach den
Comedian Harmonists
Kapitel 1
Bio, fair und regional – aber billig muss es sein
Der Fluch des niedrigen Preises
Kein Unternehmen auf der Welt macht mehr Umsatz als Wal-Mart. Knapp 420 Milliarden US-Dollar erlöst der amerikanische Einzelhandelsriese aus Bentonville, Arkansas, im Jahr 2011. Zum Vergleich: Der Gesamthaushalt der Europäischen Union umfasst mit umgerechnet knapp 200 Milliarden US-Dollar nicht einmal die Hälfte. Das komplette Land Österreich ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 380 Milliarden US-Dollar ebenso »kleiner« als das Unternehmen Wal-Mart wie auch die gesamte Maschinenbauindustrie in Deutschland, die derzeit knapp 320 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet.
Ist Wal-Mart groß? Gigantisch wäre das bessere Wort. In den fast 10 000 Geschäften in 28 Ländern beschäftigt der Konzern über zwei Millionen Mitarbeiter, also etwa so viel, wie ganz Thüringen Einwohner hat. Ist Wal-Mart mächtig? Oh, ja. Mächtiger als so mancher Industriestaat. Der Konzern kumuliert ein unglaubliches Kapital, und jedes Jahr kommen zweistellige Milliardenbeträge an Reingewinn dazu. Wenn Wal-Mart Geld in die Hand nimmt, dann bewegt sich was, so viel ist sicher.
Allerdings: Bei allen Superlativen gibt es zumindest ein Fleckchen auf der Welt, das der geballten Macht von Wal-Mart widersteht. Ein Nest von Unbeirrbaren, ein Haufen Verrückter, der sich nicht kleinkriegen lässt und der allen wirtschaftlichen Schachzügen der Mega-Einzelhändler aus dem fernen Amerika trotzt. Wal-Mart hat alles versucht, aber nach neun verlustreichen Jahren und vielen verlorenen Milliarden strich der Konzern im Jahr 2006 die Segel, verkaufte alle 85 Supermärkte in diesem merkwürdigen Land und überließ den Kampfplatz seinen unbeugsamen und preiskampfgestählten Konkurrenten – eine vernichtende Niederlage.
Um welchen Markt geht es? Natürlich um den deutschen.
Preiskampfplatz
Deutschland ist der schwierigste Markt der Welt. Das gilt zumindest für viele Branchen, ganz sicher ist es jedenfalls das schwierigste Terrain für den Lebensmitteleinzelhandel, das man sich vorstellen kann. Warum? Weil die Deutschen preisverrückt sind.
Sie sind preis-verrückt im Wortsinne: Die Bedeutung des Preises für die Kaufentscheidung über eine Flasche Bier, einen Liter Milch oder ein Schweinenackensteak ist bei uns ganz offensichtlich aus dem Normalmaß herausgerutscht. In keinem anderen Land der Welt sind Lebensmittel umgerechnet auf die Kaufkraft so billig wie in Deutschland. Und sie sind uns ganz offensichtlich noch lange nicht billig genug … Ein halbes Kilo Toastbrot für 49 Cent? Da geht noch was. Ein Kasten Bier unter 5 Euro, ein Kilo Strauchtomaten für 1,11 Euro, ein halbes Pfund Butter für 1,29 Euro? Das muss noch billiger gehen. Wir suchen und finden immer noch »bessere« Preise, und die Lebensmitteleinzelhändler liefern uns jeden Tag neue Gründe, um hier noch einen Cent und da noch einen Euro an unserem Essen zu sparen.
Über 97 Prozent aller Bundesbürger geben in Umfragen an, bei Discountern einzukaufen – die höchste Quote weltweit. Von 2006 bis 2011 ist die Anzahl aller Lebensmittelhandelsgeschäfte in Deutschland um 6 Prozent gesunken, die Anzahl der
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