Ausgekocht: Ein Mira-Valensky-Krimi
»Warum?«.
»Genau wegen dieser Sache. Weil ich das nicht glauben kann.«
»Was geht Sie das an?«
Ich beginne zu verstehen, warum Billy Winter gemeint hat, dass Onkel Franz bisweilen auch den einen oder anderen Gast abschreckt.
Es dauert, bis ich sie dann doch am Apparat habe. Die Wirtin des Apfelbaums ist sichtlich geschockt. Die Story steht leider nicht nur in der Agenturmeldung, sondern ist bereits auch einige Male als Anekdote im Radio gelaufen.
»Es hat mir jemand Salz mit Zucker vermischt. Wir haben beides in gut unterscheidbaren Vorratsbehältern, und von dem einen wird das Salz, das wir gerade zum Kochen brauchen, in kleine Schüsseln nachgefüllt. Sowohl in den Schüsseln als auch in den Vorratsbehältern war alles vermischt. Salz und Zucker sehen einander verdammt ähnlich, auch wenn die Kristalle unterschiedlich groß sind, aber in der Mischung … Und wir haben gerade heute Mittag großen Stress gehabt. Ich musste aufs Gericht, mein Koch war allein, eine Partie deutscher Journalisten war angesagt, die hat noch der Manninger hergebracht, die Abwäscherin ist krank. Mein Koch hat nicht aufgepasst. So oft hab ich ihm schon gesagt, dass er alles kosten muss, auch die Sachen, die wir täglich machen. Ich geb zu, die erste halbe Stunde, die ich zurück war, war ich mit meinen Gedanken noch ganz woanders. Danach habe ich es gemerkt. Aber da waren mindestens dreißig Essen schon serviert … Jetzt wird bereits storniert. Es war im Radio und im Teletext. Weil das ja angeblich so witzig ist. An das Gerede in der Branche will ich noch gar nicht denken.«
»Niemand wird glauben, dass Sie selbst Salz und Zucker nicht unterscheiden können.«
»Ein Streich, ein böser Streich. Aber ich hätte es merken müssen.« Nach einer kurzen Pause: »Wahrscheinlich bin ich dem Ganzen nicht gewachsen. Ich hab es mir einfacher vorgestellt. Jedenfalls nicht schwieriger als meinen vorherigen Job.«
»Wer kann es getan haben?«
»Keine Ahnung.« Das klingt mutlos.
»Haben Sie heute noch ein bis zwei Plätze frei?«
Sie lacht bitter. »Ja, habe ich.«
»Ich komme.«
Der alte Kellner begrüßt mich, als gehörte ich zur Familie. Sehr viele andere Gäste sind nicht zu sehen. Es ist schon spät. Oder hat das tatsächlich mit ein paar halblustigen Witzchen im Radio zu tun? Immerhin ist niemandem etwas passiert. An der Verwechslung von Zucker und Salz ist noch keiner gestorben.
Ganz am Rand des Gastgartens sitzt Billy Winter an einem Tisch mit einem Mann. Sie ist so ins Gespräch vertieft, dass sie mich gar nicht sieht. Anders als gestern, ist ihr Blick nur bei ihrem Gegenüber. Ich mustere den Mann. Er ist breit, aber nicht fett. Er hat braune, glatte Haare, und im Ausschnitt des offenen weißen Hemdes sieht man ein Goldkettchen. Ich tippe, er ist ein erfolgreicher Handwerker. Installateur oder vielleicht Elektriker. Mit einer eigenen Firma. Vielleicht gehört der dicke Mercedes vor dem Lokal ihm. Das könnte passen. Was fasziniert sie an dieser bestenfalls durchschnittlichen Erscheinung? Billy Winter ist zu apart für einen solchen Typen. Allerdings: Sehr glücklich sieht sie nicht aus, eher mühsam beherrscht, verkrampft. Er hat unter dem Tisch die Beine gespreizt, nicht entspannt, sondern aggressiv. Männchenverhalten.
Schade, dass ich zu weit weg sitze, um der Unterhaltung folgen zu können. Ich gebe vor, in der Speisekarte zu lesen, und versuche, von ihrem Gespräch wenigstens Wortfetzen aufzuschnappen.
»Hannes ist viel zu jung …«, höre ich und: »… in geordneten Verhältnissen …« und: »Sei ehrlich …«. Onkel Franz bringt seiner neuen Chefin das Schnurlostelefon. Er gibt deutlich zu verstehen, dass er den Mann an ihrem Tisch auch nicht leiden kann.
Jetzt lässt Billy Winter zum ersten Mal ihre Augen wandern, sie nimmt den Hörer, winkt mir zu, nimmt eine Sekunde später Blickkontakt mit dem Kellner auf, deutet auf nicht abservierte Teller und Gläser. Ihr Vis-a-vis steht auf, sie scheint nicht sicher zu sein, ob sie will, dass der Mann geht, unternimmt aber nichts. Das Telefongespräch endet schnell. Die beiden stehen einander gegenüber, dann zögert sie kurz, nickt, und das war die Verabschiedung. Es wirkt, als hätten sie kein Ritual dafür oder wüssten nicht, welches angebracht wäre.
Billy Winter kommt an meinen Tisch. »Mein Mann. Mein Exmann. Wir sind geschieden. Er will das Sorgerecht für unseren Sohn. Er ist vor Gericht gegangen.«
So einfach, so kompliziert lassen sich Dinge manchmal
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