Ethan von Athos
KAPITEL 1
Die Geburt verlief normal. Ethans lange Finger lösten vorsichtig die winzige Kanüle von ihrer Klammer.
»Geben Sie mir jetzt die Hormonlösung C«, wies er den Medizintechniker an, der neben ihm stand.
»Hier, Dr. Urquhart.«
Ethan drückte das Hypospray gegen die kreisförmige Endmembran der Kanüle und verabreichte die abgemessene Dosis. Er überprüfte seine Instrumente: die Plazenta straffte sich schön und zog sich von dem Nährbett zurück, das sie die letzten neun Monate getragen hatte. Jetzt!
Schnell brach er die Siegel, nahm den Deckel von dem Behälter ab und durchschnitt mit dem Vibraskalpell den dichten Filz der mikroskopisch kleinen Stoffwechselröhrchen. Er teilte die schwammartige Masse, der Medtech klemmte sie beiseite und schloss den Absperrhahn, der sie mit der Sauerstoff-Nährlösung versorgt hatte. Nur ein paar klare gelbe Tröpfchen landeten wie Perlen auf Ethans behandschuhten Händen. Die Sterilisierung war offensichtlich unbeeinträchtigt, stellte Ethan mit Befriedigung fest, und seine Berührung mit dem Skalpell war so zart gewesen, dass der silbrige amniotische Beutel unter dem Röhrchengeflecht unverletzt geblieben war. Darinnen zappelte ungeduldig eine rosafarbene Gestalt. »Es dauert nicht mehr lange«, versprach er gutgelaunt.
Ein zweiter Schnitt, und er hob das nasse und mit der Fruchtschmiere bedeckte Neugeborene aus seinem ersten Heim. »Sauger!«
Der Medtech drückte ihm den birnenförmigen Saugkopf in die Hand, und er reinigte Nase und Mund des Babys von der Flüssigkeit, bevor es seinen ersten überraschten Atemzug tat. Das Kind schnappte nach Luft, protestierte lautstark, blinzelte und gurrte in Ethans sicherem und sanftem Griff. Der Medtech rollte den Kinderwagen nahe heran, Ethan legte das Kind unter das wärmende Licht, klemmte die Nabelschnur ab und schnitt sie durch. »Jetzt bist du auf dich gestellt, mein Kleiner«, sagte er zu dem Baby.
Der wartende Ingenieurtechniker stürzte sich auf den Uterusreplikator, der den Fötus ein dreiviertel Jahr so zuverlässig ausgebrütet hatte. Die vielen Anzeigelämpchen der Maschine waren jetzt alle erloschen, der Techniker löste die Verbindungen des Replikators mit der Reihe seiner ›Kollegen‹, um ihn zur Reinigung und Neuprogrammierung ins Untergeschoß zu bringen.
Ethan wandte sich dem Vater des Kindes zu, der bisher gewartet hatte. »Gutes Gewicht, gute Farbe, gute Reflexe. Ich würde Ihrem Sohn die Note Einsplus geben, Sir.«
Der Mann grinste und schniefte und lachte und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. »Es ist ein Wunder, Dr. Urquhart.«
»Ein Wunder, das hier in Sevarin etwa zehnmal am Tag geschieht«, sagte Ethan mit einem Lächeln.
»Wird Ihnen das nie langweilig?«
Ethan blickte vergnügt auf den winzigen Buben, der sich in seinem Korbwagen streckte und die kleinen Fäuste schwenkte. »Nein. Niemals.«
Ethan machte sich Sorgen um den CJB-9. Er beschleunigte seinen Schritt durch die stillen, sauberen Korridore des Distriktsreproduktionszentrums von Sevarin. Er war dem Schichtwechsel voraus, da er besonders früh eingetroffen war, um sich um die Geburt zu kümmern. In der letzten halben Stunde der Nachtschicht erreichte die Geschäftigkeit ihren Höhepunkt in einem Crescendo des Ausfüllens der Dienstbücher und der Übergabe der Verantwortung an die gähnenden Neuankömmlinge. Ethan gähnte nicht, aber er hielt an, um sich zwei Tassen schwarzen Kaffees aus dem Automaten im rückwärtigen Bereich der Medtech-Station zu holen, bevor er den Leiter der Nachtschicht in dessen Überwachungskabine aufsuchte.
Georos hob grüßend die Hand und griff dann mit ihr geschmeidig nach der angebotenen Tasse. »Danke, Sir. Wie war der Urlaub?«
»Schön. Mein Bruder bekam gleichzeitig eine Woche Urlaub von seiner Armee-Einheit, so dass wir zur Abwechslung einmal beide zusammen zu Hause waren. In der Südprovinz. Das hat unseren alten Herrn unendlich gefreut. Mein Bruder wurde befördert – er ist jetzt erster Pikkoloflötist in seiner Regimentskapelle.«
»Bleibt er dann länger dabei, über die beiden Pflichtjahre hinaus?«
»Ich glaube schon. Wenigstens weitere zwei Jahre. Er erweitert sein musikalisches Können, woran ihm sowieso wirklich gelegen ist, und diese Extramenge an Sozialdienstpunkten, die er einsackt, schadet ihm überhaupt nicht.«
»Mm«, stimmte Georos zu. »Südprovinz, wie? Ich hatte mich schon gewundert, warum Sie uns nicht in unserer dienstfreien Zeit
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