Ausgerechnet Souffle'!
ich glaube, die Funkuhr an der Wand ticken zu hören. Schließlich richtet er doch das Wort an mich:
„Kennen Sie Frau Bothe-Gehring?“
Ich überlege kurz und bejahe seine Frage. Das ist unsere Mandantin aus dem Fall Gehring gegen Bothe-Gehring. Eine Schlammschlacht von einem Scheidungsmandat.
„Nun“, dieses NUN klingt sehr gedehnt. Gefährlich gedehnt. „haben Sie schon einmal mit Frau Bothe-Gehring telefoniert?“
Allerdings. Die Alte hat Haare auf den Zähnen. Ein fürchterliches Weibsstück. Leider gehört sie zu der Sorte Mensch, die sich für Geld alles kaufen kann. Auch einen Dr. Hennemann. Ich nicke.
„Dann wissen Sie ja, wie unangenehm sie werden kann. Und ich habe gerade mit ihr telefoniert.“
Der Boss tönt sehr unheilvoll. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Die Akte lag bis gestern noch auf meinem Schreibtisch. Auf dem Fristenstapel. Ganz unten. Mir wird heiß. Zu heiß.
„Ähm ... Ja.“
Ich spüre einen Frosch im Hals und ahne, was jetzt kommt. Ich habe die Einspruchsfrist gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss bezüglich des gemeinsamen Kontos verbummelt. Das heißt auf gut Deutsch: Ihr Exmann hat die Kohle abgeräumt.
Dieses Versäumnis bedeutet nicht nur einen unverzeihlichen Anfängerfehler. Das darf einfach nicht passieren. Nie. Unter keinen Umständen.
„Ach du Scheiße!“
„Das können Sie laut sagen.“
Seine Miene ist undurchdringlich und seine Stimmbänder klirren wie Eis.
„Es bringt wohl wenig, Ihnen anzubieten, es auf mein Gehalt zu verrechnen …“, versuche ich eine lahme Wiedergutmachung.
Er holt scharf Luft und brüllt los:
„Dann arbeiten Sie die nächsten fünfzehn Jahre umsonst in meiner Kanzlei! Was ist das hier für eine verfluchte Schlamperei?! Sind Sie denn wahnsinnig?! Wofür haben Sie die Ausbildung gemacht?! Wenn Sie nur in der Lage sind, Kaffee zu machen oder die Auskunft anzurufen, stelle ich mir lieber eine Studentin ein, die besitzt mehr Grips und kostet halb so viel!“
Ich glaube es nicht. Ich erlebe Emotionen. Dr. Johannes Hennemann flippt zum ersten Mal seit sechs Jahren aus. Sein Gesicht läuft hochrot an und gleich stößt Rauch aus seinen weit geblähten Nasenflügeln. Und das ist ausgerechnet meine Schuld. Mein Magen dreht sich nach außen und mein Kopf verwandelt sich in ein luftleeres Vakuum. Ich vermag keinen klaren Gedanken zu fassen. Ich habe einen der wichtigsten Fälle versiebt und vermutlich die zahlungskräftigste Mandantin der Sozietät verschossen. Zweifellos ein Kündigungsgrund. Und ich sehe das sogar ein.
Ich bin wie gelähmt. Ein unangenehmes Prickeln klettert meinen Nacken hinauf. Plötzlich streikt mein Gehörsinn. Jemand bläst auf einer Trillerpfeife in mein Ohr und ich starre auf Hennemanns Lippen, ohne das Geringste von dem zu verstehen, was er sagt. In Zeitlupe beobachte ich mich selbst. Als ich schweigend den Stuhl zurückschiebe und aufstehe. Auf einmal halte ich den Türgriff in der Hand. Durch einen merkwürdigen Schleier fange ich einen erschrockenen Blick von Elfi auf und einen nicht minder verblüfften vom Frentzen. Dann habe ich sie alle im Rücken. Wie in Trance schwanke ich in das dunkle Treppenhaus, taste mich am Geländer entlang bis zur Eingangstür, um schließlich auf den Steinstufen nach draußen zu verharren. Ein Schwall frischer Luft mit kühlen Regentropfen fährt mir ins Gesicht. Jetzt endlich traue ich mich, zu atmen.
3. Masala Salam
Was macht man an einem Freitag um neun Uhr morgens? Sinn- und ziellos durchquere ich die Stadt. Meine Beine schreiten weit auf dem regennassen Pflaster aus. Legen einen zügigen Schritt nach dem anderen zurück. Die Kilometer schrumpfen dahin. Es müssen etliche sein. Türen, Ladenfronten, Fenster und ganze Häuser ziehen an mir vorbei. Ich nehme nur das gleichmäßige „Tatam Tatam“ in meiner Brust wahr. Überquere eine Straße, eine Zweite, einen Zebrastreifen. Weiter über den Bordstein, um die Ecke, in die nächste Gasse hinein. Atme fortwährend tief ein und aus. Konzentriert und so lange, bis ich nur noch allein das tue: Gehen und Atmen. Ein und aus und von vorn. Der Regen läuft mir mittlerweile zwischen den Brüsten herunter. Ich bin klatschnass. Und total verloren. Meine Bluse hängt wie ein nasser Sack an mir. Meine Jacke blieb zurück, vergessen an dem Garderobenhaken im Flur. Ach, Scheiß ´drauf. Ich mochte das hässliche Ding sowieso nie.
Ich bleibe stehen. In dem Schaufenster spiegelt sich eine Frau. Sie steht
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