Ausgesetzt
Niemand kam. Sie drangen durch die Hintertür ein. Ein völlig verschreckter Jake Nuremborski versteckte sich in einem der Schlafzimmer im zweiten Stock. Robert, sein invalider Sohn, war nirgends zu finden. Ebensowenig wie sein Pfleger.
Kiss gab für die ganze Stadt eine Suchmeldung nach Robert Nuremborski und Walker Devereaux heraus. Vor Ablauf einer Stunde wusste er über Walkers genauen Aufenthaltsort Bescheid. Er war in der Notaufnahme eines Krankenhauses.
Walker war mit dem Rettungswagen eingeliefert worden, nachdem ein Hausbesitzer die Notrufnummer gewählt und berichtet hatte, dass ihm jemand über den Rasen gefahren sei und das Haus gerammt habe. Nicht lange danach sahen zwei Streifenpolizisten auf ihrem Kontrollgang in dem Park an der Schlucht ein Licht durch die Bäume schimmern.
Sie gingen auf das Licht zu und fanden einen Mann, der mit einem Strick gefesselt auf dem Boden lag. Er war schwer misshandelt worden, und ein Auge sah wirklich schlimm aus. Doch er war noch am Leben und bei Bewusstsein. Er weinte.
Ein weiterer Mann saß unter einem Baum. Aus der Ferne sah er aus, als hätte er Lippenstift um Mund und Hals geschmiert. Es sah aus, als lächle er sie an.
Beim Näherkommen erkannten sie, dass sein Mund voll Blut war, und auch sein Hals einen blutigen Ring hatte. Sie knieten sich neben ihn und fragten, was er hier tue.
Die Augen des Mannes waren wach und glänzten. Er schien bester Laune zu sein. »Auf meinen Vater warten«, antwortete er.
Kristas Gesicht näherte sich Walkers. »Robert Nuremborski wurde wegen versuchten Mordes festgenommen«, sagte sie. »Der Mann, der bei ihm war, auch. Dein Großvater hat einen Zusammenbruch erlitten und liegt unter polizeilicher Bewachung im Krankenhaus.«
»Hier?«, fragte Walker.
»Nein«, sagte sie und berührte seine Stirn mit ihrer.
Er war müde. Sein Hals tat noch immer höllisch weh, und ein unbestimmbarer Schmerz wühlte in seinem Unterleib.
»Du hast mich angelogen. Du hast gesagt, du gehst nicht mehr aus dem Haus. Du lügst die ganze Zeit«, sagte Krista.
»Es tut mir leid«, antwortete er.
Aber es tat ihm nicht leid. Er war zutiefst befriedigt. Er hatte einen Sturm überstanden, und die Welt sah jetzt ganz anders aus. Alles war anders. Walker Abel Tennu war mehr als zufrieden, er fühlte sich wie neugeboren.
Er fragte, wie sie mit seiner Mutter zurechtkam. Ein langes Schweigen folgte, und dann die Versicherung, dass sie gut miteinander auskämen.
»Aha«, sagte Walker. »Und mit Stewey?«
»Ich liebe Stewey.« Krista lächelte.
»Sag ihm das ja nicht«, meinte Walker.
Krista drückte ihr Gesicht wieder an seines.
»Und was ist mit deinem Vater? Weil du ausziehen willst und so? Wie kommst du mit ihm aus?«
Krista ließ ihr Gesicht, wo es war, nämlich an seiner Wange, aber sie zögerte einen Herzschlag lang.
»Ich habe eigentlich noch nicht mit ihm darüber geredet«, sagte sie. »Alles andere habe ich ihm erzählt. Er hat gesagt, ich muss ins Krankenhaus fahren und darf nicht mehr weggehen. Er gibt auf der ganzen Danforth Avenue mit dir an. Er hält dich für Herkules oder so was. Für ihn bist du ein Held.«
Sie küsste ihn. Er küsste sie. Ihre Gesichter waren nur einen Atemzug voneinander entfernt.
»Ich habe nachgedacht, Walker«, flüsterte sie. »Ich meine, wegen der Wohnung. Vielleicht besorge ich mir eine eigene. Du kannst zu mir kommen, wann du willst. Aber die Gefahr ist vorbei, und vielleicht willst du in deiner Wohnung bleiben. Und wir schauen einfach, wie’s läuft.«
»Wie was läuft?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht möchtest du ja verreisen. Was ganz anderes machen.«
Walker versuchte, sie anzusehen, aber sie verbarg ihr Gesicht. Was dachte sie wirklich?
»Meine Wohnung ist Scheiße«, sagte Walker.
»Nein, ist sie nicht«, sagte Krista.
Eines Tages kam Heather Duncan zu Besuch. Es war ein Nachmittag Ende November. Die Sonne schien in sein Krankenzimmer, und er war eingedöst.
Als er die Augen aufschlug, saß sie auf einem Stuhl an der Wand und sah ihn an. Sie trug einen Wintermantel und große, flauschige Ohrenschützer und betrachtete ihn aufmerksam durch ihre Brille.
Er starrte zurück. Eine Weile verharrten sie so.
»Du weißt es, stimmt’s?«
Walker hatte sie nicht begrüßt, und jetzt gab er keine Antwort. Mehr brauchte sie nicht. Sie gab sich selbst die Antwort: »Natürlich weißt du’s.«
»Ich dachte, du wärst meine Freundin«, sagte er.
»Ich befand mich in dem Glauben«, hier zögerte
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