Ausgesetzt
die übrigen Mitglieder der Familie nach Hause und seine drei kleinen Schwestern zu Bett gegangen waren und Krista sich im Gästezimmer für die Nacht vorbereitete, setzte sich Walkers Mutter zu ihm und Gerard an den Tisch. Sie sah aus, als hätte sie etwas auf dem Herzen. Eine Weile sprachen sie über dies und das, dann sagte sie: »Ich nehme an, du hast jetzt einen neuen Namen.«
Walker trank soeben sein letztes Bier aus. Er leistete seinem Vater, der Nachteule in der Familie, Gesellschaft. Um zwei ins Bett, um sechs heraus, so sah Gerards Lebenswandel aus. Seine Frau sagte ihm seit dem Tag ihrer Hochzeit beinahe täglich, dass er sich umbringen werde, wenn er nicht mehr schliefe, aber er machte stur weiter wie bisher.
Die Frage seiner Mutter kam überraschend für Walker. »Wieso, was meinst du?«
Sie strich sich das dichte braune Haar zurück und schaute ihn mit ihren grauen Augen prüfend an. »Du bist jetzt Walker Tennu«, sagte sie.
Er nickte. Er blickte auf seine Hände. Sie waren dunkel, dunkler als die seiner Mutter und seines Vaters, obwohl Gerard jahrein, jahraus, sommers wie winters im Wald arbeitete.
»An Kyle Tennu kann ich mich nicht erinnern« sagte er. »An Lennie jetzt zwar schon, aber auch nur flüchtig.« Er sah seine Mutter an. Sie hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. »Ich bin stolz, ihr Kind zu sein. Aber ich weiß, wer meine Familie ist. Wer meine Mom ist. Und mein Dad. Und deshalb möchte ich Walker Devereaux bleiben.«
Etwas später besuchte Walker Krista in ihrem Gästezimmer. Seine Mutter hatte Kristas Tasche gleich bei ihrer Ankunft in das kleine Zimmer im Erdgeschoß getragen. Krista hatte ihr rosa Flanellnachthemd und dicke Wollsocken an.
»Die Fußböden deiner Mutter … eiskalt«, sagte sie, als sie die Bettdecke zurückschlug und sich unter die Wolldecke und das Federbett kuschelte.
Walker schmiegte sich an sie.
»Du sollst doch nach oben gehen.«
»Tu ich ja auch«, sagte er.
Eine Weile lagen sie so da, dann machte Krista die Nachttischlampe aus.
Er fühlte ihre Hand unter der Decke, wie sie sein Hemd unter dem Gürtel hervorzog. Er roch ihr Parfüm und was immer sie sich ins Haar sprühte.
Mit dem Handrücken streichelte sie seinen Bauch, die Erhebung, dort wo die Narbe war. Die Fäden waren zwar schon gezogen, trotzdem juckte die Narbe noch. Ihre Hand tat gut.
»Eines Tages müssen wir nach Jamaika zurück«, sagte er.
»Dann aber, um Urlaub zu machen.«
»Wir könnten Jamie besuchen und gegenseitig unsere Narben bewundern.«
»Toll.«
»Ich wüßte gerne, ob Miss Emile noch lebt.«
»Warum sollte sie nicht?«
»Weil sie im Sterben lag.« Walker versuchte, sich die winzige Hütte im Wald in Erinnerung zu rufen und die alte Frau, die schwarze Haut über die Knochen ihres Gesichts gespannt, unter ihrer lila Decke mit den Sonnen, Monden und Sternen.
Ein gebrochenes Kind, hatte Miss Emile gesagt.
Walker sah auf Kristas Gesicht, auf das von draußen schwaches Licht fiel.
Ihre Hand strich noch immer sanft über seinen Bauch. Er küsste sie.
»Wofür ist das jetzt?«
»Weiß nicht.«
»Wir werden jetzt nicht miteinander schlafen, Walker. Das können wir bei mir tun, wenn wir wieder zu Hause sind.«
»Ich weiß«, sagte er.
Am nächsten Nachmittag war die Kirche voll von Mitfühlenden und Neugierigen. Die verschiedensten Versionen von Walkers Geschichte hatten in den vergangenen Wochen in Big River die Runde gemacht. Er war so etwas wie der Stadtheld geworden, wie man eben in einer kleinen Stadt zum Helden wird. Aller Augen ruhten auf ihm und seiner verkrüppelten, aber ach so niedlichen Freundin. Der Adoptivsohn von Mary Louise und Gerard Devereaux. Hat Indianerblut in sich.
Pater Perrot hatte verbissen darum gekämpft, auf Grund außergewöhnlicher Umstände einen Dispens für die Beerdigung von Walkers Eltern und deren Beisetzung auf geweihtem Boden zu erhalten – ein Skandal, wie manche seiner Schäfchen meinten. Er zelebrierte eine schlichte Feier, aber Walker war der Meinung, dass er mit großer Wärme gesprochen und alles mit großer Würde geleitet hatte.
Nach der Beerdigung zerstreuten sich die Leute rasch und gingen zu ihren Autos zurück. Auch Pater Perrot und Walkers Familie entfernten sich von der Grabstätte und dem Mahagonisarg, in dem seine Eltern zusammen ruhten. Nur Walker, Stewey und Krista blieben.
»Walker?«, fragte Krista. »Möchtest du noch ein bisschen dableiben?«
Walker nickte.
Krista wandte sich um und machte
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