Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ausgewichtelt

Titel: Ausgewichtelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Havaste
Vom Netzwerk:
seiner Zauberkraft war er etwas Besonderes und zugleich für die meisten Menschen unsichtbar. Nur jemand, der verstand, wie wichtig es war, anderen zu helfen und Freude zu bringen, konnte ihn sehen. Und so, wie der Weihnachtsmann genau darauf achtete, wem er sich zeigte, wollte wohl auch das Wesen, das sich in der Darre versteckte, sichergehen, dass die Ankömmlinge seine magische Aufgabe kannten.
    Es galt also zu erraten, wer sich hinter dem Ofen versteckte und welche Aufgabe er hatte. Der Weihnachtsmann überlegte. Die Krähe hatte ihn zu der verlassenen Darre geführt. In der Darre hatte man vor vielen Jahren Getreide gedroschen: In der Wärme, die der Ofen ausstrahlte, war das Getreide getrocknet, sodass man die Körner aus den Ähren schlagen und reinigen konnte. Erst danach konnten die Körner zu Mehl gemahlen werden. Beim Dreschen musste man gut aufpassen: Wenn man das Feuer im Ofen nicht im Auge behielt, konnte die ganze Darre abbrennen. Es musste jemanden geben, der auch dann über das Feuer wachte, wenn die Menschen erschöpft einschliefen.
    »Denk nach, Weihnachtsmann. Du musst selbst darauf kommen.«
    Konnte es ein Erdgeist sein? Da hatte der Weihnachtsmann plötzlich eine Eingebung: Es war natürlich ein Wichtel! Die Wichtel ließen sich ja gerne in der Nähe der Menschen nieder und hüteten ihre Gebäude. In den Ställen gab es Stallwichtel, in den Speichern Speicherwichtel und in einer Darre vermutlich einen Darrenwichtel. Der arme Kerl war in der Darre geblieben, als die Menschen fortzogen. Nach so langer Zeit war er vor Einsamkeit sicher schon ganz krank.
    »Gut, dass du mich hergeführt hast«, lobte der Weihnachtsmann die Krähe.
    Er setzte sich an die Tür und entdeckte hinter dem Ofen eine kleine graue Zipfelmütze, unter der helle Augen hervorschauten.
    »Guten Tag, Darrenwichtel«, sagte der Weihnachtsmann. »Könnten wir uns ein wenig unterhalten?«
    Der kleine graue Wichtel jauchzte vor Freude und sprang auf den Bretterboden der Darre.
    »Juhu! Endlich! Guten Tag, herzlich willkommen! Wie schön, dass ich endlich mit jemandem reden kann, der sich auf Zauberkräfte versteht.«
    Der Weihnachtsmann betrachtete den kleinen Wichtel, der glücklich lächelnd vor ihm stand. Der arme kleine Kerl. Man hatte ihn verlassen, er war ganz und gar in Vergessenheit geraten. Er war mager und blass geworden, seine Wangen waren eingefallen. Seine Kleider waren in keinem besseren Zustand als er selbst. Seine Jacke war zwar säuberlich geflickt, doch sie war so alt, dass der Stoff fadenscheinig geworden war. Der Wichtel brauchte neue Kleidung, gutes Essen und fröhliche Gesellschaft, das sah man. Nun galt es, freundlich zu ihm zu sein.
    »Wie schön, einen echten Darrenwichtel kennenzulernen. Ich bin der Weihnachtsmann und habe auch ein wenig Zauberkraft. Einmal im Jahr, in der Weihnachtsnacht, kann ich unzählige Kinder besuchen und ihnen meinen Weihnachtsgruß bringen.«
    »Schön, dich kennenzulernen und neue Freunde zu finden. Ich bin der Darrenwichtel Onni. Bitte, tretet näher. Ich würde euch gerne etwas zu essen anbieten, aber da die Darre schon lange nicht mehr benutzt wird, habe ich nur einige gefrorene Fichtenspitzen. Darf ich euch davon anbieten?«
    Gefrorene Fichtenspitzen! Den Weihnachtsmann schauderte es. Etwas Schlimmeres konnte er sich nicht vorstellen. Hübsch waren sie ja, die jüngsten Nadeln an den Spitzen der Fichtenzweige, aber sie schmeckten stechend und bitter. Hatte der kleine Wichtel sie jeden Winter essen müssen? Aber da der Wichtel ein höflicher Gastgeber sein wollte, musste der Weihnachtsmann das Spiel mitspielen.
    »Danke, ich nehme gern eine Fichtenspitze oder zwei. Sie sind so gesund; sie helfen auch gegen Husten.«
    Der Wichtel holte geschäftig ein Stück Birkenrinde aus seinem Versteck hinter dem Ofen und legte mit wichtiger Miene vier Fichtenspitzen darauf: zwei für den Weihnachtsmann, eine für sich selbst und eine für die Krähe. Der Weihnachtsmann kaute unter dem besorgten Blick des Wichtels die bitteren Nadeln und stieß die hustende Krähe verstohlen an. Gäste mussten sich anständig benehmen.
    »Möchtet ihr noch mehr?«
    Der Weihnachtsmann schloss aus der besorgten Miene des Wichtels, dass dieser nicht mehr anzubieten hatte.
    »Nein danke, Onni, es ist genug. Aber ich würde gerne hören, wie es dir ergangen ist.«
    Darüber freute sich der Wichtel so sehr, dass er einen Purzelbaum schlug.
    »Ich sehne mich schon lange nach jemandem, mit dem ich reden kann – auch

Weitere Kostenlose Bücher