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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Inzwischen gibt es in jeder Bundesregierung viele parlamentarische Staatssekretäre, obgleich diese Institution sich nur teilweise bewährt hat. Sie hat gewiß dazu beigetragen, daß regierende Minister ihren Kontakt mit dem Bundestag nicht vernachlässigten; sie hat auch einige Politiker erfolgreich auf ihre spätere Arbeit als Minister vorbereitet. Manch einer ist jedoch nur deshalb parlamentarischer Staatssekretär geworden, weil der Regierungschef, der Minister oder die eigene Partei ihm Anerkennung zollen wollten oder weil er als Exponent einer politischen Richtung oder auch nur einer Region galt. Gleichwohl handelt es sich per saldo um eine nützliche Institution. Wenn ich heute im Amt wäre, würde ich sie wahrscheinlich noch ein wenig ausbauen, indem ich einem Minister zusätzlich einen privaten Sekretär aus den Reihen seiner eigenen Fraktion beiordnen würde.
    Die Bildung einer Regierung hat – um bei der Parallele mit dem Theater zu bleiben – eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Uraufführung: Das große Publikum interessiert sich vornehmlich für die Haupt- und Glanzrollen. Für die Dauer der Regierung hängt es aber entscheidend davon ab, wie gut die Hauptdarsteller zusammenwirken – und ob der Regisseur, sprich der Regierungschef, die Fäden in der Hand behält. Dies letztere ist nicht ganz leicht, denn eine Regierung besteht aus vielen Personen, manche von ihnen sind eigenwillig, manche sind nur zähneknirschend der Koalitionsregierung beigetreten. In der Regel muß der Regierungschef das Regierungsgeschäft als Teamarbeit verstehen und dirigieren. Deshalb habe ich zum Beispiel nie die Richtlinienkompetenz in Anspruch genommen, die das Grundgesetz dem Bundeskanzler ausdrücklich gegeben hat; wohl aber habe ich einige weittragende Entscheidungen allein getroffen.
    Ich hatte das Glück, die Arbeit im Team bereits relativ jung im hamburgischen Senat zu lernen. Auch für die Leitung der Innenbehörde war das Team, nämlich die allwöchentliche Konferenz der Abteilungsleiter (hamburgisch gesprochen: Amtsleiter), das entscheidende Führungsinstrument. Später, in der Fraktionsarbeit in Bonn und in den Ministerien, die ich zu leiten hatte, bin ich bei dem Prinzip geblieben. Je größer ein Ministerium oder eine Regierung ist, desto mehr braucht die Person an der Spitze ein loyales, ihr persönlich ergebenes inneres Führungsteam.
    Seit meinen Jahren auf der Hardthöhe habe ich auf ein solches Team den größten Wert gelegt, es war mir zur Beratung und zur Selbstkontrolle immer unentbehrlich. Ich habe für diesen engsten Kreis damals das Wort Kleeblatt eingeführt, denn wir waren im Verteidigungsministerium vier Personen, nämlich die drei Staatssekretäre Willi Berkhan, Hans Birckholtz und Ernst-Wolf Mommsen sowie der Minister (ein Glücksklee ist bekanntlich vierblättrig); dazu kam ein note-taker , der die Ergebnisse schriftlich festhielt, und von Fall zu Fall der Generalinspekteur der Bundeswehr (zunächst General Ulrich de Maizière, danach Admiral Armin Zimmermann). Später im Kanzleramt waren wir abermals vier Personen, nämlich Klaus Bölling, Manfred Schüler und Hansjürgen Wischnewski sowie der Kanzler; dazu kam der Protokollant – und bisweilen der Außenminister Hans-Dietrich Genscher, manchmal der Finanzminister, erst Hans Apel, später Hans Matthöfer, oder der Justizminister Hans-Jochen Vogel.
    Im eigentlichen Kleeblatt im Kanzleramt gab es erst schonungslos offene Kritik, häufig auch Dissens, sodann Diskussion, schließlich aber Entscheidung und Konsens. Jeder von uns kannte sein Fach, hier traf sich Urteilskraft aus unterschiedlichen Bereichen mit Tatkraft. Genauso wichtig aber waren die Verschwiegenheit und die niemals verletzte Loyalität untereinander. Jeder hatte sein eigenes Arbeitsgebiet. Böllings Feld war die öffentliche und die veröffentlichte Meinung, für beide hatte er ein sensibles Gespür. Schüler hielt das Kanzleramt in Ordnung und auf Trab, daneben setzte er, im Kontakt mit den Staatssekretären aller Minister, allwöchentlich die Kabinetts-Tagesordnung fest. Wischnewski, wegen seines erstaunlichen Verständnisses für alle arabischen Probleme gern Ben Wisch genannt, war ein Allroundman; wenn er sagte »Helmut, das kannst du nicht machen!«, dann hat er jedesmal recht gehabt. Rückblickend habe ich mich in keinem politischen Gremium jemals mehr zu Hause gefühlt, jemals mehr gelernt als in jenem Kleeblatt.
    Meine Erinnerungen an die Sitzungen in Partei- und

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