Ausser Dienst - Eine Bilanz
kennen oder doch zumindest fähig sein, die Grundlagen alsbald zu erlernen. In einer parlamentarischen Demokratie ist man aber gezwungen, die große Mehrzahl der Minister aus dem Parlament und aus den Reihen der Regierungspartei oder der regierenden Koalition zu holen. Es darf bisweilen eine Ausnahme geben. Aber wenn es zu viele Ausnahmen gibt, können sich die Minister weder im Parlament noch in seinen Ausschüssen durchsetzen. Mit einem Wort: Man braucht Abgeordnete als Minister, die sich bei ihren Abgeordneten-Kollegen Ruf und Ansehen erworben haben.
Ein Regierungschef, der ein Kabinett zu bilden hat, gleicht ein wenig einem Regisseur, der die Rollen zu besetzen hat und für ein Shakespeare-Drama andere Darsteller aussuchen wird als für Brechts Drei-Groschen-Oper. Zugleich drängen sich ihm aber ganz andere Fragen auf: Wer hat die älteren Anrechte? Wer hat die stärkeren Bataillone unter den Abgeordneten? Sind die Bayern, sind die Leute aus dem Osten oder aus Nordrhein-Westfalen ausreichend berücksichtigt – und wenn nicht: Muß ich für diese oder jene Region jemand aus der Landespolitik holen? Viele Landespolitiker bringen zwar Verwaltungserfahrung mit, aber etwa von der Außen- und Europapolitik oder der Steuerpolitik haben sie keinen Schimmer.
Manchmal muß man jemand zum Minister machen, von dem man schon weiß, daß er nichts Besonderes und nichts anderes zustande bringen wird, als lediglich sein Haus sauber und ordentlich zu verwalten. Manchmal wird einer sogar Minister, damit er nichts Besonderes zustande bringt. Von einem Bonner Postminister wußte man immer, er wird nichts bewegen; es war übrigens eine unsinnige Tradition, dem Staatsunternehmen Post einen eigenen Minister zuzugestehen, nicht jedoch dem ebenso wichtigen Staatsunternehmen Bundesbahn. Und doch habe ich einmal, aus ganz sachfremdem Grund, einen Kollegen unbedingt als Postminister haben wollen. Hans Matthöfer hatte über mehrere Jahre das nervenaufreibende Amt des Finanzministers ausgeübt, er war gesundheitlich angeschlagen und bat mich deshalb im Frühjahr 1982 um Ablösung. Ich brauchte ihn aber am Kabinettstisch und konnte ihn überreden, das Postministerium zu übernehmen; er wurde also Postminister, damit er nicht allzuviel zu tun hatte. So blieb er im Kabinett – und mir, wenn es darauf ankam, als wichtiger Eckpfeiler erhalten.
Ein Regisseur, der ein Stück besetzen muß, hat die verfügbaren Schauspieler schon in anderen Rollen beobachtet, er weiß ihre Leistungsfähigkeit einigermaßen einzuschätzen. Wer aber ein Kabinett zusammensetzen soll, der hat viele – oft genug alle! – seiner Kollegen niemals zuvor in einer exekutiven Rolle erlebt. Er kennt sie überwiegend nur als Redner und kann kaum wissen, ob sie der Leitung eines schwierigen Amtes oder einer großen Bürokratie gewachsen sind. Mit seiner Kabinettsliste geht er ein erhebliches Risiko ein.
Das Risiko ist am größten bei dem riesenhaften und vielgliedrigen Verteidigungsministerium. Hier hat es im Laufe von langen Jahrzehnten eine Reihe von Fehlbesetzungen gegeben, weil seit Theo Blank und Franz Josef Strauß nur drei der bisher vierzehn Verteidigungsminister ausreichende Verwaltungserfahrung mitbrachten, während keiner vorher die Ausübung von Befehlsgewalt gelernt hatte. Allein der Personalumfang der Bundeswehr belief sich zu meiner Ministerzeit auf 700 000 Militär- und Zivilpersonen. Kein Unternehmenskonzern von derartigem Umfang wird von einem einzigen Vorstandsmitglied geführt, der Verteidigungsminister aber ist allein. Auf der Hardthöhe war nicht nur das sture Prinzip von Befehl und Gehorsam problematisch, sondern besonders auch der Primat der Beamten; den zivilen Beamten stand das Recht zu, bis in die Kompanien hinein Erlasse zu diktieren, sie hatten im Prinzip mehr zu sagen als die militärischen Vorgesetzten. Natürlich habe ich diesen Unfug abgeschafft. Immerhin hat das Personal des Verteidigungsministeriums im Laufe eines halben Jahrhunderts erheblich an Qualität gewonnen.
Um den Erfahrungsmangel der Politiker in Verwaltungs- und Exekutivaufgaben etwas auszugleichen, haben wir in den sechziger Jahren durch die Große Koalition die Institution der parlamentarischen Staatssekretäre eingeführt, die sich in der parlamentarischen Praxis in England bewährt hatte. Damit sollte jüngeren Parlamentariern, die einem Minister beigeordnet wurden, die Gelegenheit gegeben werden, Erfahrung in der Leitung und Verwaltung eines Ministeriums zu gewinnen.
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