Außer Kontrolle: Thriller (German Edition)
jedoch entschieden, vor Ort zu bleiben. Die mitgebrachte Verpflegung war ihnen schon vor drei Tagen ausgegangen, also hatten sie ihre Tagesrationen auf ein absurd niedriges Maß reduziert und waren dazu übergegangen, sich von dem zu ernähren, was sich auf freiem Feld fand– Beeren, Wurzeln und Insekten, dazu gelegentlich eine Spende von einem sympathisierenden Bauern oder Hirten, den sie anzusprechen wagten, sowie Flusswasser, das sie, durch schmutzige Taschentücher gefiltert, in kleinen Schlucken tranken.
Mittlerweile jedoch waren sie dahintergekommen, was es mit den zahlreichen militärischen Aktivitäten auf sich hatte. Die Schlägertrupps der Jandarma fielen aus Rache für den Angriff in Diyarbakir über kurdische Dörfer her, aber die türkische Armee war auch dabei, einige kleine Feuerstellungen in dieser ländlichen Gegend einzurichten. Hatte die Türkei etwa vor, die reguläre Armee zur Verstärkung der Jandarma heranzuziehen?
Sie hatten den Plan für ihre Erkundungspatrouille geändert– wegen des spektakulären doppelten Raketenstarts, dessen Zeugen sie am Abend zuvor geworden waren. Der Anblick von Artilleriefeuer und Luftbombardements gegen kurdische Dörfer und Ausbildungslager der PKK war durchaus nichts Ungewöhnliches, doch dies waren keine Artilleriegeschosse gewesen– sondern noch im Aufsteigen und nicht erst auf ihrer ballistischen Flugbahn manövrierende Präzisionslenkwaffen, die hoch oben am Himmel explodiert waren. Die Türken hatten ein neues Waffensystem zum Einsatz gebracht, und offensichtlich hatten sie bei all diesen Aktivitäten entlang der türkisch-irakischen Grenze ihre Finger im Spiel. Jetzt war es an ihr und ihrer Truppe, dem auf den Grund zu gehen.
Alle Kämpfer führten Spezialbrillen mit roten Gläsern mit, und je näher sie ihrem Ziel kamen, desto häufiger waren sie gezwungen, diese aufzusetzen, um ihre Nachtsichtfähigkeit nicht zu verlieren, denn die Schutzzone rings um ihr Ziel war von Reihen nach außen gerichteter transportabler Scheinwerfer beleuchtet, die das dahinterliegende Lager in völlige Dunkelheit tauchten. Eine interessante Taktik, dachte die Kommandoführerin: Die türkische Armee verfügte ganz sicher über Nachtsichtgeräte, nur benutzte sie diese hier draußen nicht.
Das konnte eine Falle sein– in jedem Fall aber war es eine Gelegenheit, die sie sich nicht entgehen lassen durften.
Die Anführerin des Trupps, Zilar Azzawi, bedeutete ihren Schützen vorzurücken. Während diese ausschwärmten und sich einzurichten begannen, suchte sie die Sicherheitszone mit ihrem Feldstecher ab. Zwischen jeweils zwei tragbaren Scheinwerfergerüsten befand sich– in einem Abstand von ungefähr zwanzig Metern zum jeweils nächsten– ein mit Sandsäcken gesichertes Schützennest. Mehrere Meter rechts von ihr gab es eine aus Sandsäcken und Bauholz errichtete Zufahrt für Lkw, versperrt von einem Truppentransporter, dessen rechte Flanke mit einer stabilen Konstruktion aus grünen Schalholzplatten versehen war, sodass sich daraus ein simples bewegliches Tor ergab. Zwischen den Sandsackstellungen gab es eine einzelne Lage aus Stacheldrahtrollen, etwa anderthalb Meter hoch, die von leichten Stangen in Position gehalten wurden. Dies war eindeutig kein dauerhaftes Lager, zumindest noch nicht.
Wenn sie sich diesen Umstand zunutze machen wollten, war jetzt der geeignete Augenblick dafür.
Azzawi wartete, bis ihr Trupp bereit war, dann zog sie ein einfaches, in Korea hergestelltes Wanderer-Walkie-Talkie hervor und ließ den Sprechknopf einmal klicken, dann noch zweimal. Einige Augenblicke darauf erhielt sie zwei Klicks als Antwort, gefolgt von drei weiteren. Sie ließ ihr Walkie-Talkie dreimal klicken, verstaute es wieder, berührte dann die beiden Männer rechts und links von ihr am Arm: das Zeichen, sich bereit zu machen.
Den Kopf gesenkt, schloss sie die Augen und sagte dann mit ruhiger, leiser Stimme: » Ma’lesh – nichts ist wichtig.« Sie hielt noch ein paar Herzschläge lang inne und gedachte ihres toten Ehemanns und ihrer toten Söhne, was den in ihr aufgestauten Zorn mit der Energie eines Düsentriebwerks durch ihren Körper schießen ließ. Geschmeidig und mühelos erhob sie sich, legte dann ihren RPG -7-Granatwerfer an und feuerte auf das sandsackgesicherte Maschinengewehrnest direkt vor ihr. Sobald ihre Granate eingeschlagen war, eröffneten die anderen Mitglieder ihres Kommandos das Feuer auf die anderen Geschützstellungen, und innerhalb weniger Sekunden
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