Aussicht auf Sternschnuppen
nur knapp einen Meter an uns vorbeiging. „Hier komme ich mir vor, wie auf dem Präsentierteller.“ Er stand auf und ich folgte ihm bis zum Ende eines steinernen Steges. Mir war alles egal!
Wir ließen die Beine über den Rand hängen und hörten dem monotonen Geräusch der Wellen zu, die gegen die Steine platschten. Ein scharfer Lufthauch zerrte an meinen Haaren. Unwillkürlich wickelte ich meine dünne Strickjacke noch ein wenig fester um mich und hoffte, dass sich die wohlige Wirkung des Rotweins möglichst bald einstellen würde.
Auf einmal spürte ich, wie sich ein Gewicht auf meine Schultern legte. Nils hatte seinen dicken Rollkragenpullover ausgezogen und ihn mir um die Schultern gelegt. Wie fürsorglich! Ich blickte zu ihm hinüber. Er trug nur noch ein dünnes Langarmshirt. Jetzt wäre wohl ein Wort des Dankes angebracht. Leider kam aus meinem Mund nicht mehr heraus als ein zittriges Hmpf .
Schnell führte ich die Rotweinflasche wieder an die Lippen. Mit ein paar Schlucken war es wohl nicht getan. Nils verzog belustigt die Mundwinkel nach oben.
„Ein bisschen frisch, oder? Ich kann Ihnen auch eine Jacke aus meinem Koffer holen, wenn Ihnen immer noch kalt ist.“ Er nahm mir die Weinflasche aus der Hand.
Vor lauter Dankbarkeit stiegen mir schon wieder Tränen in die Augen und meine Unterlippe begann zu zittern. Hmpf! Hmpf!
Nils gab mir den Rotwein schnell zurück.
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht und ich war für einen Moment abgelenkt.
„Ist schon in Ordnung.“ Oh! Ich schien wieder sprechen zu können! Ich versuchte es gleich noch einmal. „Wieso können Sie eigentlich so gut Italienisch?“ Diese Frage brannte mir schon seit unserer Bekanntschaft mit Valeria unter den Nägeln.
„Meine Eltern haben ein Haus am Comer See. Ich habe häufig meine Ferien dort verbracht.“
„Wie schön! Ein Ferienhäuschen in Italien und noch dazu an einem See.“
„Ich bin meistens mit unserer Haushälterin dorthin gefahren.“
„Und ihre Eltern?“
„Die haben gearbeitet oder sich auf Kreuzfahrten entspannt. Mich an den Comer See abzuschieben, war ihre Art dafür zu sorgen, dass ich schöne Ferien hatte. Ich bin nur einmal allein mit ihnen in Urlaub gefahren. Als ich zwölf war. In ein kleines Hotel am Brenner.“
„Deshalb auch die Wanderung an den Obernberger See?“, fragte ich.
Nils nickte verlegen. Zu seinen Eltern schien Nils wirklich kein gutes Verhältnis zu haben. Ich beschloss, das Thema zu wechseln.
„Finden Sie es nicht albern, dass wir beide uns immer noch siezen? Vorhin im Gefängnis haben wir uns schließlich auch geduzt.“
„Von mir aus gerne.“ Er hielt mir die Hand hin. „Nils.“
Ich drückte sie. „Helga.“
Wir lächelten uns an.
Einträchtig teilten wir uns den Rest des Rotweins und ich machte mich auch über das pane , den Käse und die Oliven her.
„Ich habe schon ewig nicht mehr draußen gesessen und mir die Sterne angeschaut“, sagte Nils nach einigen Minuten. Er griff nach einer neuen Flasche Wein und öffnete sie.
„Mein Freund hat eine Affäre“, entgegnete ich zugegebenermaßen etwas zusammenhanglos. Aber ich musste mit jemand über die Ereignisse der letzten zwölf Stunden sprechen, selbst wenn es sich bei diesem Jemand um meine ungewollte Reisebegleitung handelte.
Nils sah auf. Er schien nicht zu wissen, wie er mein Geständnis einzuordnen hatte.
Bevor mich der Mut verließ, redete ich weiter.
„Ich habe eine SMS in seinem Handy gefunden. Eine Angela hat darin geschrieben, dass sie es kaum erwarten kann, ihn wiederzusehen. Sie haben sich am Flughafen getroffen und sind dann anschließend zusammen in einen Mercedes gestiegen und weggefahren.“
Nils starrte mich immer noch mit unbewegter Miene an.
„Ich wusste, dass Giuseppe einen Zwischenhalt in Verona machen würde und ich wollte ihn dort zur Rede stellen. Aber es kam nicht dazu. Ich habe gesehen, wie er sie küssen wollte und … da habe ich unseren Autoschlüssel nach ihm geworfen.“
Nils’ Hand wanderte zur Tasche seiner Jeans, zuckte aber enttäuscht zurück. Er hatte wohl für einen kurzen Moment vergessen, dass sich seine Zigaretten in einem österreichischen Gebirgssee befanden.
„Deshalb auch der Einbruch in das Hotelzimmer?“, fragte er vorsichtig. „Du wolltest dir den Schlüssel wieder holen?“
Ich nickte.
„Du bist also in das Zimmer deines Freundes eingedrungen?“
„Nein. Er musste mit einem Krankenwagen abgeholt werden!“
„Respekt, du hast also ganze
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