Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aussicht auf Sternschnuppen

Aussicht auf Sternschnuppen

Titel: Aussicht auf Sternschnuppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
Vom Netzwerk:
das Auto?“
    „An der Piazza Brà. Wo denn sonst?“
    „Ja, wo denn sonst.“ Er seufzte. „Ich ruf uns ein Taxi. Kommen Sie mit zur Piazza oder soll ich Sie unterwegs irgendwo rauslassen?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich fahre mit“, antwortete ich mit belegter Stimme.

    Während der gesamten Taxifahrt bewahrte ich die Fassung und auch noch, als Nils und ich in den Smart einstiegen, der sich glücklicherweise immer noch in der Halteverbotszone befand. Als wir wieder im Auto saßen und er mich fragte, wohin er mich fahren solle, öffneten sich bei mir jedoch alle Schleusen und ich fing an, hemmungslos zu schluchzen. Immer wenn ich gerade dazu ansetzen wollte, ihm zu antworten, sprudelten unartikulierte Laute aus meinem Mund heraus und irgendwann gab ich es auf und weinte nur noch.
    Hilflos sah Nils mich an. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er mit der Situation überfordert war und nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. Ich wusste es auch nicht und weinte einfach weiter. Schließlich legte mir Nils etwas unbeholfen den Arm um die Schulter und zog mich an sich. Erst machte ich mich stocksteif, doch dann begann ich mich zunehmend zu entspannen und ließ mich sogar ein wenig gegen ihn sinken. Es hatte etwas Tröstliches, seine Wärme zu spüren und seinen regelmäßigen Atem zu hören.
    „Wollen Sie mir nicht sagen, was passiert ist?“, fragte Nils nach einigen Minuten.
    Ich versuchte, ihm zu antworten, doch sofort schossen mir wieder die Tränen in die Augen und ein weiterer Schluchzer drang aus meinem Mund.
    „Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen“, sagte Nils schnell, wahrscheinlich weil er befürchtete, dass jedes Wort, das er von mir verlangte, erneut einen hysterischen Anfall heraufbeschwören würde. Ich richtete mich wieder auf und er zog seinen Arm zurück. Schweigend saßen wir nebeneinander.
    Dann sagte Nils: „Wissen Sie, was wir jetzt machen? Wir fahren zu einer Tankstelle und kaufen eine Flasche Rotwein. Und wenn Sie die getrunken haben, wird es Ihnen bestimmt viel besser gehen. Mögen Sie Rotwein?“
    Ich nickte und Nils fuhr los. Rotwein war gut, denn er benebelte, und alles war besser, als der Realität ins Auge zu sehen.

Nils kaufte nicht nur eine Flasche Rotwein, sondern gleich drei. Er nahm wohl an, dass eine Flasche nicht ausreichte, um meine Hysterie einzudämmen. Außerdem kam er mit einem pane , Käse, Oliven und der Auskunft zurück, dass in dieser Nacht am nahe gelegenen Gardasee besonders viele Sternschnuppen zu sehen sein sollten.
    Einen einsamen Platz am Ufer des Sees zu finden, schien jedoch unmöglich, denn egal welche Abfahrt Nils nahm, alle mündeten früher oder später in die Auffahrt eines Campingplatzes ein. Schließlich stellte er den Smart auf dem öffentlichen Parkplatz des kleinen Örtchens Lazisse ab. Wir schlenderten eine lange, dunkle Straße entlang, passierten eine im Wasser stehende Baumgruppe, die von einer Straßenlaterne in ein gespenstiges Licht getaucht wurde, und bogen schließlich auf einen gekiesten Weg ein, der sich zwischen einem schmalen Sandstreifen und – oh Wunder! – aneinandergereihten Campingplätzen am See entlang schlängelte. Trotz der fortgeschrittenen Stunde spazierten immer noch einige Menschen über den Strand und auch aus den nahe gelegenen Wohnwagen konnte man Stimmen und Gelächter hören.
    Apathisch sah ich zu, wie Nils an einem etwas entlegeneren Stück des Strandes seine Lederjacke ausbreitete und sich auf einer Seite niederließ. Ich setzte mich neben ihn und zusammen starrten wir in den eisklaren Sternenhimmel.
    Normalerweise umsäumen grobe Kiesbetten und Felsplatten den Gardasee. An unserem Platz aber war ein schmaler Streifen Sand aufgeschüttet worden. Gedankenverloren griff ich mit einer Hand nach den runden, glatten Körnern, doch diese rannen immer wieder durch meine Finger hindurch.
    „Wie mein Leben!“, dachte ich zynisch.
    Der See sah aus wie eine Scheibe aus schwarzem Glas, die an den Rändern durch herannahende und wegrollende Wellen immer wieder durchbrochen wurde. Ihr monotones Geräusch beruhigte mich, ebenso wie der typische Geruch nach vermoderten Pflanzen, der mich an Familienurlaube am Chiemsee erinnerte. Von den im See vertäuten Booten waren nur noch schaukelnde Umrisse zu sehen, dafür hob sich das Lichterband der gegenüberliegenden Seepromenade umso deutlicher vom nachtblauen Himmel ab.
    „Setzen wir uns auf einen der Stege!“, sagte Nils, als der gefühlt hundertste Fußgänger

Weitere Kostenlose Bücher