Aussicht auf Sternschnuppen
werden“, sagte die Frau. Als sie meinen verzweifelten Gesichtsausdruck sah, fügte sie hinzu: „Ich selbst muss bei Slips auch immer zu zwei Größen mehr greifen.“
Da sie selbst bei zwei Größen plus aber bestimmt auf keine höhere Zahl als 40 kam, konnte sie mich mit dieser Aussage nicht aufheitern, aber ich honorierte ihren Versuch, der Zahl 44 etwas von ihrem Schrecken zu nehmen und beschloss, zumindest so zu tun, als ob ich sie anprobieren würde. Lilly kam zu mir in die Umkleidekabine. Unentschlossen hielt ich die Spitzenunterhose in der Hand.
„Ich glaube nicht, dass ich sie anziehen kann. Es ist 44. Mein Gott!“
„Aber die Verkäuferin hat Recht. Slips muss man zwei Nummern größer kaufen. Sie schneiden sonst in der Hüfte ein. Diese Unterhose ist also eigentlich Größe 40.“
„Aber 40 ist immer noch zwei Größen über 36.“
In einer Zeitschrift hatte ich gelesen, dass man sich in angsteinflößenden Situationen vorstellen sollte, was im allerschlimmsten Fall passieren könnte. Die Realität würde in 90 % aller Fälle weitaus weniger schrecklich sein.
Der allerschlimmste Fall, der in dieser Situation eintreffen könnte, war, dass mir auch Größe 44 nicht passte und ich nach Größe 46 fragen musste. Ich wartete vergeblich darauf, dass dieser Gedanke etwas von seinem Schrecken verlor.
„Ich kann diese Unterhose wirklich beim besten Willen nicht anziehen. Stell dir vor, mir passt sie nicht.“
Lilly konnte nur mühsam ein Lachen unterdrücken. „Sie passt dir bestimmt. Glaub mir, du wirst gertenschlank darin aussehen. Ich würde nur das Etikett darin raustrennen.“
„Warum?“
„Na ja, wenn du wieder einen Freund hast … Du weißt schon. Soll er wirklich wissen, dass du 44 trägst?“
„Gut, das reicht. Du hast mich überzeugt. Ich komme erst wieder, wenn ich mindestens fünf Kilo abgenommen habe.“
Ich zog den BH aus und verließ schnell die Umkleidekabine, um mich von Lilly nicht noch einmal umstimmen zu lassen. Dabei prallte ich gegen einen jungen Mann, der vor der Nachbarkabine stand.
„Entschuldigung!“, murmelte ich.
Er blickte auf. Oh nein! Damit hatte ich nicht gerechnet.
„Helga!“, sagte der junge Mann, nun auch ziemlich überrascht.
Ich hörte, wie Lilly hinter mir scharf die Luft einzog.
„Olli!“, antwortete ich mechanisch. „Was machst du denn hier?“ Ich versteckte meine Unterwäsche hinter meinem Rücken.
„Ich warte auf meine Freundin. Sie sucht sich einen Bikini aus. Wir fliegen nächste Woche nach Ägypten.“
„Das ist schön. Ein paar Tage in der Sonne zu verbringen, darauf hätte ich auch Lust.“ Meine Stimme ließ jeglichen Enthusiasmus vermissen.
„Aber du musst arbeiten, oder? Immer noch beim DGB tätig?“
„Ja, und du? Immer noch …?“
In diesem Moment wurde der Vorhang der Umkleidekabine beiseitegeschoben und besagte Freundin erschien. Es war nicht mehr Nathalie, wegen der mich Olli verlassen hatte. Es sei denn, Nathalie wäre innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre zwanzig Zentimeter gewachsen. Denn diese Frau war sogar noch größer als ich. Sie musste über eins achtzig sein und wog bestimmt keine sechzig Kilo. In einem winzig kleinen Bikini stand sie vor mir, trotz des Winterwetters braun gebrannt und mit langen, seidigschwarzen Haaren. Fragend schaute sie mich an!
Jede Frau, die schon einmal von einem Mann verlassen worden ist, wird mich verstehen können, wenn ich sage, dass ich mir die erste Begegnung zwischen Olli und mir nach unserer Trennung schon hundert Male in den verschiedensten Variationen ausgemalt hatte. Es wäre unnötig, jeden einzelnen dieser Tagträume detailliert zu beschreiben. Denn letztendlich hatten sie alle etwas gemeinsam: Ich selbst stand strahlend schön und gertenschlank einem unglücklichen, einsamen und am besten auch noch erkälteten Olli gegenüber. Und niemals, wirklich niemals, hatte ich bei all den erdachten Szenarien Unterwäsche in Größe 44 in der Hand und Olli ein Topmodel an seiner Seite.
„Yanni, Helga. Helga, Yanni“, stellte Olli uns gegenseitig vor und blähte sich auf vor Stolz. Lilly hatte sich diskret in den Hintergrund verzogen. „Helga ist eine … alte Bekannte von mir.“
Ich nickte unbehaglich. Yanni lächelte huldvoll. Dann wandte sie sich wieder ihrem Freund zu.
„Nu, wie findsdn den Bigini? Iss doch ooch guhd, odor?“, fragte sie Olli in breitem Sächsisch und fuhr sich geziert mit ihren manikürten Fingernägeln über Hüfte und Bauch.
Ich biss mir
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