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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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zurück, das Gesicht zu Willstead erhoben, worauf der Feuerschein seine Kehle beleuchtete.
    Wie brachte man es fertig, einem Menschen den Kopf abzuhacken?
    Man würde sich vergewissern müssen, dass er tot war. Das wäre das Erste. Dann würde man ihn umdrehen müssen, damit er auf dem Bauch lag. In dieser Position würde der Hals wegen der vorstehenden Nase nicht direkt am Boden aufliegen, sondern ein wenig erhöht sein.
    Dann würde man das Beil in die Hand nehmen. Weil es einen kurzen Griff hatte, würde man den Schlag aus nächster Nähe ausführen müssen. Es würde kein sauberer Schlag sein. Man würde mehrmals auf die schlaffe Haut des Halses einhacken müssen. Das Beil würde immer wieder abrutschen, und außerdem wäre der Kinnbackenknochen im Weg.
    Jemand würde den Kopf festhalten müssen, damit man an den knöchernen Teil des Halses herankam.
    Anschließend müsste der Kopf in den Sack gesteckt werden. Dazu würde ihn jemand in die Hand nehmen müssen. Wie schwer war ein Kopf? Ihn an den Haaren hochzuheben, würde vermutlich am einfachsten erscheinen. Eine zweite Person würde den Sack aufhalten müssen.
    Derjenige, der den Sack dann zur Siedlung tragen musste, würde von einem Schwarm wild gewordener Fliegen verfolgt werden. Anfangs hätte er den Sack vielleicht am Tornister festgebunden, doch nach einer Weile würden ihm die ständigen Schläge des Kopfes gegen den Tornister auf die Nerven gehen. Er würde es einfacher finden, ihn zu tragen. Der Sack würde schwer sein: Er würde ihn immer wieder von einer Hand in die andere wechseln müssen. Würde er das tun können, ohne daran zu denken, was sich in dem Sack befand: der Kopf eines Menschen, ein menschliches Gesicht? Ein Gesicht wie jenes, das Rooke gerade vor sich sah, lachend, mit halb verschmitztem, halb amüsiertem Blick, und dahinter die menschliche Seele mit all ihren äußerst feinen Gefühlsnuancen?
    Rooke hörte sich keuchend nach Atem ringen, und das Herz schlug ihm bis in den weit aufgerissenen, nach Luft schnappenden Mund.
    Warungin blickte vom Lagerfeuer aus zu ihm hin, erhob sich halb und streckte die Hand aus. Hatte er gesehen, dass Leutnant Rooke von Seiner Majestät Seesoldaten die Farbe von Schweineschmalz angenommen hatte und in diesem Augenblick im Gebüsch verschwand, wo er sich laut und heftig übergab?
    ✳
    Als der Anfall vorüber war, ging Rooke den Weg entlang, der aus dem Lager führte. Die Sträucher schienen den Pfad in der Nacht überwuchert zu haben, und er kämpfte sich zwischen ihnen hindurch.
    Dann hatte er das Dickicht endlich hinter sich und fand sich auf dem Kamm der Stranddüne wieder, allein in der riesigen Kathedrale der Nacht. Vor ihm erstreckte sich eine weite, dunkle Fläche. Die Ufer ringsum schienen sich in der Nacht zurückgezogen zu haben. Von den niedrigen Erhebungen links und rechts war nur eine ferne, wellige Linie wahrnehmbar, dunkler als die Bucht und schmal wie ein Band. Der Himmel über ihm war wieder von einer anderen Dunkelheit, der Vollmond leuchtete wie ein weit geöffnetes, wachsames Auge.
    Rooke machte ein paar Schritte die Düne hinunter und setzte sich in den Sand. Dort, wo sich der Mond auf dem Wasser spiegelte, zerbrach er zu einem Fleck einzelner unruhiger Punkte grellen Lichts, so hellweiß vor dem schwarzen Hintergrund wie eine Magnesiumfackel.
    Obwohl die Oberfläche doch ganz ruhig zu sein schien, rollten kleine Wellen an den Strand, zogen sich zischend wieder zurück und hinterließen einen dunklen Spitzenrand auf dem Sand. Jedes Mal, wenn eine Welle zurückfloss, strömte schon die nächste Woge herbei und schlug klatschend mit der ablaufenden Welle zusammen. Das Geräusch kam nicht von der Welle selbst, sondern von den Turbulenzen an der Stelle, an der das Kommende und das Gehende zusammentrafen.
    Wenn man auf die Bucht hinausblickte, während die Flecken des Mondlichts darüberglitten, hätte man gesagt, das Wasser sei so unbewegt wie in einer Tasse. Doch hier am Ufer bewegte es sich auf und ab, vor und zurück und kam nie zur Ruhe.
    Rooke sah es jetzt so deutlich wie nie zuvor: eine einzige Wasserfläche, die den ganzen Erdball umschloss, die Kontinente dazwischen nur geringfügige Hindernisse, die das Wasser mühelos umfloss. Das Land war für dieses riesige atmende Wesen ohne Belang, und erst recht die darauf lebenden Menschen.
    Auf der Landkarte wurde diese Wasserfläche aufgeteilt und den Teilen verschiedene Namen gegeben. Die Namen waren nicht nur bedeutungslos, sondern

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