0713 - Das Monster Suko?
Jemand war an der Tür, jemand wollte etwas von ihm. Ein Fremder bestimmt, denn Freunde hätten sich anders verhalten.
Sukos kleine Hände näherten sich der Brust und umfaßten einen Gegenstand, der an einer Lederschnur, die um seinen Hals geschlungen war, vor der Brust hing.
Es war kein Kreuz wie bei John Sinclair, seinem Freund. Es war nur ein Stab. Sukos Stab, sein Eigentum und für seine Existenz ungemein wichtig, denn durch die Berührung des Stabes wurde er gewissermaßen zu einer anderen Person.
Nicht äußerlich, da blieb er das Kind, aber im Inneren fing es mit einer Wandlung an. Da dachte und handelte er wie ein Erwachsener, wie eben der echte Suko, der in seiner mutierten Kindsgestalt nicht einmal die englische Sprache beherrschte, sondern in einem chinesischen Dialekt sprach, wie er in dem Kloster geredet worden war, in dem Suko aufgewachsen und erzogen worden war.
Aber jetzt hielt er den Stab umklammert. Diese Tatsache erlaubte ihm ein normales Nachdenken.
Wieder wummerte es gegen seine Tür. Die Schläge mußten nicht allein in der Wohnung zu hören sein, sondern auch durch den Flur schallen. Er wunderte sich, daß noch keiner der Nachbarn aus den anderen Wohnungen Krach geschlagen hatte.
Auf der Bettkante rutschte er noch ein Stück vor und stand dann auf. Trotz des Krachs hörte er seinen eigenen Herzschlag, der wie ein dumpfer Trommelklang in seinem Kopf widerhallte.
Auf nackten Füßen bewegte er sich der Schlafzimmertür entgegen, schlüpfte in den Wohnraum, ging einige Schritte und blieb zunächst einmal stehen, weil er lauschen wollte, ob sich die harten Schläge an der Wohnungstür wiederholten.
Das passierte nicht.
Es war still geworden, nächtlich still. Irgendwie bedrückend, obwohl diese Stille normal war, aber Suko befand sich in einem Zustand, wo er sie eben mit anderen Gefühlen betrachtete.
Er drehte den Kopf und schaute zum Fenster. Dahinter lag die blauschwarze Dunkelheit der Nacht.
Sterne schimmerten nicht am Himmel. Sie und der Mond waren durch eine dicke Wolkendecke verdeckt, obgleich es ein warmer und manchmal auch sonniger Tag gewesen war.
Am Fenster war niemand. Suko schaute sicherheitshalber nach und öffnete es sogar.
Wind wehte in sein Gesicht. Er brachte einen scharfen Geruch aus den Straßenschluchten mit. Es schien so zu sein, als würde die Riesenstadt London noch einmal tief ausatmen.
Suko schloß das Fenster wieder. Er reckte sich, um den Hebel drehen zu können. Alles war für ihn anders geworden. Er hatte sein gesamtes Leben praktisch umstellen müssen.
Er hörte nichts mehr.
Waren der oder die Person verschwunden? Er dachte, durch den Kontakt mit seinem Stab, wie ein Erwachsener und zog auch die Möglichkeit irgendwelcher Randalierer in Betracht, die betrunken durch die Stockwerke geirrt waren.
Sicher war er sich nicht, und einen Eid würde er darauf ebenfalls nicht leisten.
Trotz allem siegte die Neugierde. Er wollte nicht mehr an die Gefahren denken, die ihn möglicherweise erwarteten, er mußte einfach Gewißheit haben, auch wenn er möglicherweise unterlegen war.
So bewegte er sich auf die Wohnungstür zu.
Auch jetzt ging er so leise wie möglich. Nur keine Geräusche, nur die anderen nicht warnen, das allein war ihm wichtig. Die nackten Füße schleiften über den Teppich. Im kleinen Flur bekam er noch einmal starkes Herzklopfen, doch er überwand diesen Zustand der plötzlichen Furcht und ging weiter.
Das Licht hatte er nicht eingeschaltet. In der Wohnung standen die Türen offen. Es herrschte keine finstere Nacht, sondern mehr eine graue Umgebung vor, als hätte ein Maul gewaltige Mengen an Kohlestaub in die Räume geblasen.
Die Tür war ein graues Rechteck. Dahinter lag der Flur, und genau dort mußten sie gestanden haben oder warteten immer noch.
Ausgestattet worden war die Tür mit einem Guckloch. Durch diesen optischen Spion allerdings konnte Suko nicht schauen, er lag einfach zu hoch für ihn, und er mußte sich schon einen kleinen Hocker suchen und darauf klettern. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, den Hocker im Flur stehenzulassen. Er rückte ihn noch auf die Tür zu, stieg behutsam und leise hinauf und sah das matte Guckloch direkt vor sich.
Er peilte hindurch.
Nichts war zu sehen. Ein düsterer Flur, gerade mal von einem traurigen Notlicht beleuchtet, das allerdings ausgereicht hätte, um Umrisse irgendwelcher Personen zu erkennen, die sich direkt vor der Wohnungstür aufhielten.
Dort stand niemand!
Suko ließ sich Zeit,
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