Australien 02 - Der Sternenleser
und es kam eine leichte Unruhe auf, möglicherweise war es sogar Gekicher.
Der Mann hatte jetzt den Strand erreicht und lief auf sie zu. Bei jedem seiner Schritte spritzte der Sand hoch, und bald war er so nahe herangekommen, dass man das Gesicht mit dem wolligen Bart erkennen konnte, das Stirnband, die mit feinem gelben Sand wie von einem Paar Pantoffeln bedeckten Füße: Warungin, der ihnen entgegenlief, und allem Anschein nach war er gutgelaunt.
Nur leicht außer Atem kam er bei ihnen an und begrüßte diejenigen, die er kannte. Als er sich Rooke zuwandte, war ihm nicht im Geringsten anzumerken, dass er etwas wusste, nicht die leiseste Spur des Zur-Kenntnis-Nehmens eines Kollaborateurs.
Wenn Warungin nicht wusste, welchem Zweck diese Expedition diente, würde er normalerweise fragen, was sie hier machten, und tat es zu Rookes Erleichterung auch. Ob sie Kängurus jagen wollten, versuchte er mittels Zeichensprache und Gebärden herauszufinden. Ob sie Fische fangen oder irgendetwas aus den Bäumen holen wollten, Honig vielleicht?
Silk legte sich weder auf die Kängurujagd noch aufs Honigsammeln fest.
»Warungin«, sagte er lächelnd, wobei ihm die Bemühung, beiläufig zu klingen, deutlich anzumerken war. »Warungin, mein Freund, kannst du uns sagen, wo wir Carangaray finden können? Wo ist Carangaray?«
Als Warungin den Namen hörte, runzelte er nachdenklich die Stirn.
Dann hielt er eine kurze Rede, in deren Verlauf mehrmals der Name Carangaray fiel, wobei er jedes Mal eine schnelle, schwungvolle Handbewegung machte, bei der die Hand anfangs locker vom Handgelenk hing und am Schluss mit der Handfläche nach oben in Richtung Süden deutete.
»Mr. Rooke, Sie sind doch hier der Sprachforscher unter uns«, sagte Silk. »Was hat er soeben gesagt?«
»Er spricht zu schnell«, sagte Rooke. »Ich kann ihm nicht folgen.«
Das entsprach so unbestreitbar der Wahrheit, dass Silk nicht widersprach.
Daraufhin versuchte er die Bedeutung von Warungins Wortschwall pantomimisch zu ermitteln. Er ließ die Finger durch die Luft wandern und wiederholte dabei immer wieder den Namen Carangaray . Warungin sah ihm gleichmütig zu und machte es ihm nach, ließ ebenfalls die Finger durch die Luft wandern. Er verbesserte Silks Darbietung jedoch und streckte dabei den Arm aus, um die Vorstellung von weit weg zu demonstrieren. Dann neigte er den Kopf und legte die Hände an die Wange, danach machte er mit dem Arm eine ausholende Bewegung über den Himmel, deutete damit den Lauf der Sonne an. Die Botschaft war unmissverständlich: Carangaray war so weit weg, dass die Sonne zwei oder drei Mal über den Himmel wandern und die Menschen die aneinandergelegten Hände drei oder vier Mal zum Schlafen unter die Wange legen würden, bis sie den Ort erreichten, an dem sich Carangaray jetzt befand.
Mit anderen Worten: Viel zu weit für dreißig schwer bewaffnete, aber mit leichtem Gepäck und wenig Proviant ausgestattete Soldaten, um ihn zu verfolgen.
Und so marschierten sie alle zu dem Teich hinter dem Strand zurück. Warungin machte keine Anstalten zu gehen. Willstead knurrte, der Kerl wolle sich doch bestimmt nur auf ihre Kosten eine Mahlzeit einverleiben und lungere deshalb hier herum. Rooke hingegen konnte sich kaum vorstellen, dass Essen, das aus nichts als trockenem, zerbröselndem Brot und ein paar Happen Pökelfleisch bestand, sonderlich verlockend war.
Während sich die Männer Farnkraut als Schlafunterlage schnitten und Brennholz sammelten, damit sie ihre Lagerfeuer die ganze Nacht hindurch in Gang halten konnten, ging Warungin davon. Rooke und Willstead hielten in ihrer Arbeit inne und sahen ihm nach, wie er mit federnden Schritten und dem hin und her schwingendem Fischspeer in der Hand verschwand.
»Sie sind wie Kinder, sie kommen und gehen, wie’s ihnen gerade passt«, stellte Willstead fest. »Obwohl Warungin eigentlich ein ganz guter Kerl ist, könnte man sich doch niemals auf einen von denen verlassen. Wenn’s ihnen in den Sinn kommt, hauen sie einfach ab.«
Doch bis sie ihre Feuer in Gang gebracht hatten, war Warungin schon wieder da. Acht dicke Meeräschen, mit einem Rankengewächs zusammengebunden, baumelten von seiner Hand. Er legte die Fische auf ein paar flache Stellen, die er zwischen dem glühenden Holz mit der Hand zurechtschabte, ließ sie kurz braten und brach sie dann mit den Fingern in Stücke, die er an die Offiziere verteilte. Als er sah, dass sie sich vor den Köpfen ekelten, lachte er amüsiert auf. Er
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