Australien 03 - Tal der Sehnsucht
schaute in die Sonne, die über den hohen, goldenen Hügeln jenseits des Tales unterging. Schafe wanderten im Gänsemarsch über die trockene Weide auf den Fluss zu, um sich einen Abendschoppen zu genehmigen. Sie hielten die Köpfe gesenkt, und das Vlies auf ihren Rücken glänzte golden in der Sonne.
Noch vor zehn Jahren hatten fünfzehntausend Merinoschafe auf den viertausend Hektar der Highgrove Station geweidet. Die Station war eine der ältesten Zuchten für Merinos und Hereford-Rinder in Australien. Die Merinos hatten sich wie ein endloser Fluss durch den aus grauem Sandstein erbauten Scherstall geschoben und ein Gebirge aus heller, wunderschön gelockter Wolle zurückgelassen, das sich bis zu den dunklen Dachbalken türmte. Doch im Lauf der Jahre hatte das Geschäft nachgelassen. Inzwischen waren die Herden nicht einmal mehr halb so groß wie während Highgroves Blütezeit.
Mit einem stillen Seufzen dachte Rosemary an die aufregenden Zeiten zurück, als der Ruf ihrer Familie als Merinozüchter im Zenit gestanden hatte. Damals heimste ihr Vater für seine Zuchthammel einen Preis nach dem anderen ein, und die Frauen liebten ihn dafür. Sie drängten sich in ihren Röcken mit Black-Watch-Tartanmuster und ihren mit Goldschnallen besetzten blauen Schuhen um ihn, befingerten den fransigen Saum des Siegesbandes und gurrten ihm zu, wie schlau er sei. Ihre in Tweed gewandeten Ehemänner buhlten um einen festen Händedruck von Gerald und boten lächerlich hohe Geldsummen für seine Hammel. Und mittendrin, stets an Geralds Seite, war Julian. Er war der ewige Stallbursche und hielt die unwilligen Schafe an der Wamme, während die Preisrichter stundenlang über die endgültige Platzierung berieten. Rosemary hatte jedes Mal darum gebettelt, aushelfen zu dürfen, aber ihr Vater hatte immer abgelehnt.
»Du bist einfach noch zu klein, um die Widder zu halten«, hatte ihr Gerald einmal erklärt. »Stell dir nur vor, was für einen Aufruhr es geben würde, wenn dir einer entkäme – das könnte uns den ersten Platz kosten.«
Stattdessen wurde sie von Margaret in Laura-Ashley-Kleidchen gezwängt und Jahr für Jahr dazu verdonnert, sich an der Handarbeits- und Gartenausstellung zu beteiligen. Hier explodierten die Blumen ihrer Mutter in strahlenden, üppigen Blüten, die kein Preisrichter übersehen konnte. Die geschmeidige Konsistenz von Margarets Schokoladekuchen und ihre goldenen Scones sicherten ihr Jahr für Jahr ein blaues Band in beiden Kategorien, Preisgelder in Höhe von fünfzig Cent und die Lobeshymnen der anderen Frauen im Distrikt. Aber dann begannen die Wollpreise zu fallen. Immer weniger Käufer lockten Gerald in eine stille Ecke des Pavillons, um ihm einen Handel vorzuschlagen. In den einst so geschäftigen Schurhütten auf Highgrove wurde es still, und die Hammel wurden allesamt auf die Weide geschickt, wo sie für sich selbst sorgen mussten. Die Helfer, »Jackaroos« genannt, zogen auf andere Farmen weiter, neue wurden nicht eingestellt, der Stallmeister erhielt seine Entlassungspapiere, und über die Siegesbänder aus Filz, die von den Dachsparren des Hammelstalls hingen, webten die Spinnen ihre silbernen Netze. Inzwischen huschten nur noch Mäuse und Ratten auf und über die Gitterroste, denen heute nur noch ein leichter Hauch von Lanolin anhaftete.
Ohne den Verfall der Farm zur Kenntnis zu nehmen, strebte der Konvoi schnatternder Ladys aus der Flussniederung dem großen alten Haupthaus auf der Hügelkuppe entgegen. Der zweistöckige Backsteinbau badete in der Abendsonne, und die breite Veranda legte einen fast streng wirkenden Schatten rund um das Gebäude. Mächtige Eukalyptusbäume reckten ihre Glieder elegant über die hohe schmiedeeiserne Einfahrt, die von Prestige und hohem Ansehen zu künden schienen. Es war eine hohle Geste, dachte Rosemary, als die Autos über den Viehrost darunter holperten. Sie hatte ihren Vater gebeugt in seinem Arbeitszimmer stehen und über den Kontoauszügen brüten sehen. Trotzdem kochte ihre Mutter immer noch kesselweise Gourmetspeisen und organisierte eine Party nach der anderen, so als wäre alles wie immer.
Fette Geländewagenreifen knirschten auf die runde Kiesauffahrt, die von einem perfekt gemähten englischen Rasen eingefasst war. Hier purzelten die Ladys beduselt, verknittert und verkatert aus den Autos. Alle konnten es kaum erwarten, in die kühlen Mauern des Haupthauses zu gelangen und Margarets Gastfreundschaft zu genießen.
Rosemary hing zusammengesunken in
Weitere Kostenlose Bücher