1812 - Der wandelnde Tod
Ich kannte die Person nicht. Der Tote war ungefähr in meinem Alter. Wie er ums Leben gekommen war, wussten wir noch nicht, denn äußerlich war an ihm nichts zu erkennen. Keine Schussverletzung, keine Stichwunde, auch keine Würgemale am Hals. Und er trug nichts bei sich, was auf seine Identität hingedeutet hätte. Es gab keinen Ausweis. Nur eben diesen Zettel.
Der Chef der Truppe hieß Winston York. Er war schon einige Jahre im Dienst. Ich kannte ihn auch, weil er ein guter Bekannter von unserem Chef Sir James Powell war. Sogar um einige Ecken herum mit ihm verwandt.
»Und?«, sprach er mich an. »Noch immer keine Idee, wer dieser Mensch sein könnte?«
»So ist es.«
»Das ist schlecht.«
»Sie sagen es.«
Er hob seine kräftigen dunklen Augenbrauen. »Dieser Fall ist etwas kompliziert.«
»Wieso?«
»Weil ich nicht weiß, wer ihn nun bearbeiten soll. Sind Sie dafür vorgesehen oder soll ich …«
»Ja, sollen Sie.«
»Aha.« Er lachte knapp. »Aber warum? Es ist doch der Hinweis auf Sie gefunden worden.«
»Ja, aber ich kenne den Mann nicht. Ich kann wirklich nichts mit ihm anfangen.«
»Habe ich mir schon gedacht.«
Der Tote lag im Grab. Alle schauten auf ihn nieder. Er war normal gekleidet, trug einen Wintermantel, darunter eine Jacke, und sein Haar war leicht ergraut.
Mich interessierte auch sein Gesichtsausdruck. Obwohl er nicht genau vor mir lag, war er für mich doch recht gut zu erkennen. Er hatte diesen Ausdruck mit in den Tod genommen, und man konnte von einem großen Staunen sprechen.
Warum? Warum dieser erstaunte Ausdruck? Das war die Frage, die sich automatisch stellte. Er musste etwas Bestimmtes gesehen haben, das ihn in ein so großes Erstaunen versetzt hatte.
Aber was?
Sein Ende? Seinen Tod? Hatte er seinem Mörder direkt ins Gesicht geschaut?
Das war auch möglich. Und auch, dass er den Mörder gekannt und nichts Böses zugetraut hatte.
Es war einiges möglich, aber nichts Konkretes, das mir weiterhelfen konnte.
»Ich muss passen, Kollege.«
Winston York grinste jetzt. »Das tut mir fast gut, dass auch jemand wie Sie ratlos ist.«
»Wieso? Haben Sie mich für einen Übermenschen gehalten?«
»Nein, das nicht.«
»Aber …«
»Nun ja, man spricht ja hin und wieder über Kollegen und hört auch etwas von ihnen.«
»Sie dürfen nicht alles glauben, was Sie da hören. Auch wir kochen nur mit Wasser wie alle.«
»Und das sagt ein Geisterjäger«, erklärte er leicht spöttisch.
Ich schlug ihm auf die Schulter. »Nehmen Sie diesen Spitznamen nicht zu wörtlich.«
»Wenn Sie das sagen.«
»Es ist immer nur die halbe Wahrheit, Kollege. Geister lassen sich schlecht jagen.«
Die Kollegen wollten den Tatort noch untersuchen, aber ich hatte hier nichts mehr verloren. Der Fall würde seinen normalen Verlauf nehmen, und dann hoffte ich, dass die Kollegen mehr über den Mann herausfinden konnten.
Ich gab ihnen noch den Rat, mit dem Yard zusammenzuarbeiten. Im Notfall musste eine große Aktion laufen, damit wir die Identität herausfinden konnten. Das war wichtig. Alles andere erklärte ich erst mal zur Nebensache.
Meinen Namen hatte er auf einen Zettel geschrieben. Ich kannte ihn nicht, doch er musste über mich informiert sein. Und wie das geschehen konnte, das mussten wir herausfinden. Ich hatte mir sein Aussehen eingeprägt und würde nach meiner Rückkehr beim Yard einen Blick in unsere Archive werfen. Vielleicht hatte ich Glück und fand ihn dort.
Ich ging über einige Nebenwege, um den Hauptweg zu erreichen. Er führte direkt zum Ausgang des Friedhofs. Dort gab es auch den kleinen Parkplatz, auf dem der Rover stand.
Der Schneeregen fiel noch immer auf die Erde nieder. Die Temperatur war gefallen, aber noch nicht so stark, dass die Wolken Schneemassen entließen. Was nicht war, konnte noch kommen. Das hatte der Wetterbericht auch gesagt.
Ich hatte mir eine Mütze auf den Kopf gesetzt und den Kragen der Jacke hochgestellt. Aber der Schneeregen erwischte auch mich. Von der Seite her klatschte die Nässe gegen mich, und ich dachte daran, dass ich vor zwei Tagen noch in Dundee gewesen war und dort den Vogelmenschen gejagt hatte.
Dieser Fall wäre fast mein letzter gewesen. Im Endeffekt hatte mir das Vogelmädchen Carlotta das Leben gerettet. Der Vogelmensch hatte mich aus großer Höhe fallen gelassen, und ich wäre am Erdboden zerschmettert worden. Aber Carlotta war schneller gewesen. Sie hatte meinen Sturz abgefangen.
Jetzt hatte London mich wieder und schon hatte ich
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