Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
Schirm aus Snow Gums, weißgrauen Eukalyptusbäumen, das Haupthaus der Flanaghans stand. Ihr ganzes geliebtes Bergland lag in einer Karte auf ihrer Hand. Zögerlich hob Emily sie weiter an, um ihre Kopfhaut zu kratzen, die höllisch brannte und juckte. Erschrocken zuckte sie zurück, als ihre Fingerspitzen nur kurze Haarbüschel erspürten, die in alle Richtungen abstanden. Meine Haare! Dachte sie. Die haben mir die Haare abgeschnitten! Dann fiel es ihr wieder ein …
Es war der Tag vor dem Cattlemen’s Cup. Sie saß auf ihrem Ehebett, sah sich im Spiegel an und wartete darauf, dass Clancy von seiner Lieferfahrt zurückkam und mit ihnen über das Wochenende aufs Land fuhr. Ihre langen dunklen Haare sahen, obwohl frisch gewaschen, schlaff und fettig aus. Ihre Jeans kniffen, und der Bauch hing ihr über den Ledergürtel.
Sie piekte mit dem Finger in die Speckrolle.
»Das ist kein Bäuchlein mehr«, sagte sie zu sich, »das ist eine verfluchte Wampe.«
Gelangweilt sah sie sich im Zimmer um. Seit sechs Jahren hatte sie jede Nacht hier geschlafen, trotzdem fühlte sie sich hier nicht zu Hause. Die Tagesdecke reichte genau bis auf den sauberen Teppichboden, die Uhr, ein Hochzeitsgeschenk, tickte zivilisiert neben dem Bett. Auf ihrem Nachttisch lag ein Stapel von Zeitschriften über Rinderzucht und Arbeitspferde. Auf Clancys Seite lagen ein paar Truckermagazine auf einem Haufen von Busenheftchen voller ausgemergelter, unterernährter Frauen mit riesigen Brüsten und winzigem Selbstbewusstsein. Ein knalliger Titel versprach verlockend »Titten ohne Ende!«. Emily sah auf ihre Brüste, die ihre beiden Kinder jeweils fünfzehn Monate gestillt hatten. Für Emily war Stillen das Natürlichste der Welt, aber Clancy sah das anders. In seiner Welt waren Brüste etwas für Kerle, nicht für Kinder, und er war eifersüchtig auf seine eigenen Mädchen, weil Emily ihnen so viel Aufmerksamkeit schenkte. Über die Jahre hinweg hatte er Emily immer seltener berührt. Inzwischen wälzte er sich jede Nacht im Bett zur Seite und drehte ihr den massigen Rücken zu.
Sie schlug eines seiner Heftchen auf und starrte auf ein Mädchen mit Schmollmund, das die Lippen zu einem viel versprechenden »Oh« geöffnet hatte. Emily betrachtete die kecken, runden, chirurgisch optimierten Brüste. Die blonden Haare purzelten ihr über die Schultern. Sie konnte sich gut vorstellen, was Clancy tat, wenn er sich dieses Bild ansah … Emily schauderte. Sie blätterte ein paar Seiten weiter, und plötzlich flatterte ein Zettel schmetterlingsgleich durch die Luft und auf den Boden.
Emily hob ihn auf. Es war eine Quittung aus einem Trucker-Restaurant in der Nähe von Brisbane. Doch als sie las, wofür ihr Mann bezahlt hatte, begriff sie, dass dieses Stück Papier und der Aufdruck darauf das Ende ihrer Ehe bedeutete. Clancy, der Fernfahrer, hatte dort nicht nur sein Abendessen verzehrt. Zum Nachtisch hatte er noch eine Prostituierte vernascht.
Emilys Wangen röteten sich, und ihr stockte der Atem, als sie die Rechnung durchsah, die ihr Mann dort aufgemacht hatte. Ein Doppelzimmer und dazu ein Cherie Sweetheart Special plus Extras. Extras? Emilys Herz begann zu hämmern, ihre Haut prickelte. Sie hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Sie starrte ihr Spiegelbild an, biss die Zähne zusammen und schluckte einen Schmerzensschrei hinunter, weil die Mädchen sie nicht hören sollten. Dieses Dreckschwein!
Ihr hatte schon lang geschwant, was Clancy auf der Straße trieb. Sie hatte die Zeitschriften gesehen. Sie hatte die Sattelschlepper-Magazine mit den zweideutigen Kleinanzeigen hinten im Heft gesehen, insgeheim hatte sie es immer gewusst. Außerdem hatte sie gesehen, wie er sich aufführte, wenn er mit seinen Freunden wie Mick Parker zusammen war. Sie nannten die Frauen »Mäuschen« und redeten über sie, als wären sie nur zu einem gut. Die Sinnlichkeit, die sie einst in ihrer Ehe zu finden gehofft hatte, wurde ihr inzwischen vorenthalten. In diesem Moment spürte Emily, wie Zorn in ihr aufflammte: vor allem der Zorn auf sich selbst. Sie hatte Clancy ihr Jawort gegeben, sie hatte ihm ihren Körper geschenkt, sie hatte ihm zwei wunderbare Kinder geboren und das Leben in den Bergen aufgegeben – und das war der Dank?
Selbst in dieser ersten Woge von Entsetzen und Wut musste Emily zugeben, dass sie sich nach der Geburt immer mehr auf ihre Mutterschaft konzentriert und sich dadurch allmählich von Clancy entfernt hatte. Inzwischen glaubte sie,
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