AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating
ganzen Abend sitze ich nun auf dem Sofa und warte auf seinen Anruf. Ich ärgere mich schwarz, dass ich mich darauf eingelassen habe, denn durch das Telefon lasse ich einen fremden Menschen in mein Wohnzimmer, den ich eigentlich lieber vorher getroffen hätte, um mir ein Bild zu machen. Eine Verabredung am Samstag ist mir soviel lieber als dieses abendelange Warten, wenn ich mich eigentlich entspannen will.
SMS an mich
7:41, 5 Apr.
Liebe Gill, bin mit Kollegen essen. Gerne wuerde ich dich am Telefon kennenlernen. Bis wann darf ich dich anrufen?
HOPPLA, wieso erreicht mich diese SMS erst am nächsten Morgen?
SMS an ihn
8:51, 5 Apr.
Lieber Andor, wenn Du’s einrichten kannst, wäre es mir morgen oder übermorgen Abend ab 20:15 lieb. Meine Grippe macht mich gerade nicht zum Nachtmenschen:) LG und bis dann, Gill
Also ich würde jetzt eine SMS schicken und gute Besserung wünschen, aber ich höre nichts mehr von Andor. Habe ich Nachtmenschen oder Nacktmenschen getippt?
Am 11. April rufe ich ihn abends beherzt an und spreche ihm aufs Band:
»Hallo Andor, hier ist Gill. Ich dachte ich ruf’ dich mal an, um mit dir zu plaudern. Du kannst mich gerne zurückrufen, ich würde mich freuen!«
Obwohl ich früher diese Telefonangst hatte, kann ich mittlerweile hemmungslos »wulfen«, d.h. fremde Anrufbeantworter vollquatschen 27 . Das habe ich durch meine Kaltakquise per Telefon gelernt, als ich neue Kunden für meinen interaktiven Laufsteg gewinnen wollte.
ANDOR, DAS TELEFONAT
Donnerstag, 12. April 2013
Morgen.
SMS an mich
7:47, 12 Apr.
Guten Morgen Gille, du hast mich gestern Abend angerufen :) Ich war in der Sportbar, weil ich in Muenster kein TV Geraet habe. Vielleicht koennen wir heute Abend telefonieren?
SMS an ihn
11:12, 12 Apr.
Hallo Andor, ja ich war das auf dem AB :) Dann bis heute Abend. Liebe Grüße, Gill
(Ich heiße nicht Gille und auch nicht Geil oder Girl)
Am Nachmittag kommt meine Freundin Lisa zu Besuch. Ich erzähle ihr von der überaus männlichen SMS von einem Kerl, der, weil er auf Geschäftsreise keinen Fernseher hat, in eine Sportbar geht. Dort sitzt er also spärlich bekleidet und schwitzend, nachdem er Gewichte gestemmt hat, mit Bier am Tresen und unterhält sich mit anderen Männern über Sport. Lisa klärt mich auf, dass gestern ein wichtiges Fußballspiel lief und eine Sportbar so etwas live überträgt. ACH SO. Aber mein Bild war doch schöner, oder?
Abend.
Um 20:15 Uhr rufe ich ihn an.
»Ich grüße dich, liebe Gill«, dröhnt mir eine tiefe Stimme ins Ohr. »Anzurufen ist doch mein Job. Deshalb legst du jetzt schön wieder auf, und ich rufe dich zurück.«
Sein Job? ACH JA? Da warte ich aber schon seit Tagen drauf... nun gut.
Er ruft mich zurück und ist hörbar nervös. Mir fällt auf, dass er mit Akzent ungewöhnlich langsam spricht, als hätte er einen Schlaganfall gehabt. Oder hat er gerade gekifft? Aber das Besondere an ihm ist, dass er in allen Situationen einen kühlen Kopf bewahrt. Das ist also die positive Umschreibung für LANGSAM. Das Gespräch verläuft ganz nett, und ich freue mich schon darauf, mich mit ihm zu treffen. Verabreden kann er sich aber irgendwie noch nicht. Wir verbleiben so, dass wir am nächsten Abend wieder telefonieren. Ab 21:00 Uhr will er sich wieder bei mir melden.
ANDOR, DAS 2. TELEFONAT
Freitag, 13. April 2012
SMS an mich
22:23, 13 Apr.
Guten Abend Gill, magst du telefonieren? Meine Nummer lautet 0211 XXXXXXXX
Er erzählt von der Mafia in der Energiebranche und viel von sich, von seiner schweren Zeit (5 Monate arbeitslos, PUH)... Ich sitze gerade mit meinem Glas Rotwein über der WELTZEIT. Ab 21:00 Uhr wollte er sich melden, ab 22:00 Uhr habe ich die Flasche aufgemacht. Jetzt bin ich müde und finde die Zeitung interessanter als dieses Telefonat. Was für eine Zeitverschwendung hier abendelang auf einen Anruf zu warten und sich dann die Probleme fremder Leute anzuhören. Ich sage ihm, dass man ja noch so viel telefonieren könne, aber ob’s letztendlich passe, nur ein persönliches Treffen entscheide. Wir halten den Samstagabend fest, er will mich am Vormittag aber noch mal anrufen.
ANDOR, DAS 3. TELEFONAT
Samstag, 14. April 2012
Mittag.
Er wollte sich gegen 12 Uhr melden. Um 12:35 Uhr ruft er an.
»Guten Morgen, liebe Gill«, kommt es knarzend aus dem Hörer.
»Guten Morgen ist gut. Wir haben schon zu Mittag gegessen«, entgegne ich spitz.
»Ich habe
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