AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating
Marc
22:07, 24 Aug.
Ich freu mich, dass Du Dich meldest! Wollen wir telefonieren?
MARC, DAS 6. TELEFONAT
In diesem Moment ruft er an. Ich höre Bahngeräusche.
»Wie geht es dir? Was macht dein Husten?«, will er wissen.
»Gut danke. ACH das war nichts Schlimmes«, wehre ich ab.
»Bist du zuhause?«, fragt er.
»Ja, wo soll ich sonst sein?«, entgegne ich schroff.
»Es könnte doch auch sein, dass du ausgegangen bist.« Er klingt ernst und ziemlich trocken.
»Soll ich vorbeikommen?«, fragt er.
»Das ist aber jetzt ein bisschen spät«, ziere ich mich.
»Können wir uns denn nicht morgen Abend oder Sonntag verabreden?«, schlage ich vor. So, wie es normale Menschen eben tun würden.
»Da kann ich nicht, ich habe eine Abgabe«, sagt er tonlos. Wir machen es uns nicht gerade leicht, eine Verabredung zu treffen. Da sind wir wohl beide ziemlich umständlich.
»Aber wir können uns ja wieder schreiben.« Er klingt enttäuscht.
Mir gefällt es nicht, dass er bestimmt, wann wir uns sehen. Ich will nicht einfach nach seiner Laune zur Verfügung stehen, nur weil ihm gerade mal einfällt, abends um 22 Uhr vorbei zu kommen. Ich habe die ganze Woche auf eine Antwort gewartet. Aber andererseits, kann es auch sein, dass er mich überraschen möchte und es gar nicht so spontan ist wie es scheint, sondern von seiner Seite aus die ganze Woche schon geplant. Vielleicht ist er schüchtern? Und was, wenn er wieder krank wird?
»ACH dann komm doch einfach vorbei. Ich freue mich so dich zu sehen. Ich habe gerade eine Flasche Wein aufgemacht, und da kannst du gerne einen Schluck von abhaben«, sage ich.
»Alkohol darf ich nicht trinken, trotzdem danke. Also bis gleich«, höre ich ihn sagen.
Ich freue mich. Ich räume den Computer weg und ziehe mich schnell um. Eine beige Bluse mit orangem und braunem Paisley-Muster, dazu einen dunkelblauen Rock. Meine blau-weiß gestreiften Plastiklatschen packe ich besser mal weg und bleibe barfuß. Die rotlackierten Fußnägel sind noch OK. Ich wasche mich kurz untenrum, man kann ja nie wissen. Wobei... ich habe ja meine Tage. Dann setze ich mich wieder aufs Sofa und warte mit dem Glas Wein in der Hand.
MARC, DAS 3. TREFFEN
Es klopft. SUPER, er klingelt nicht. Ich schnelle zur Tür und mache sie auf. Es schüttet draußen, und er steht da, ein waches Gesicht lacht mich an. Ich bin so überrascht, wie gut er aussieht. Seine schwarzen glatten Haare sind länger, das gibt ihm etwas Weiches und sein Bart ist ab. Er sieht jung und frisch aus.
Im selben Moment, da ich ihn sehe, ändert sich mein männliches Schönheitsideal. Hatte ich zuvor nur Männern Beachtung geschenkt, die so aussahen wie er zum Zeitpunkt unseres ersten Treffens, so bevorzuge ich ab jetzt Männer vom Typ André Rieu der Philosophie.
Er trägt einen beigen Wollpullover, ein hellblaues Hemd und eine karierte Anzughose. Es ist nicht sein Äußeres, sondern seine Ausstrahlung, die ihn für mich einzigartig macht.
»Hallo, komm herein! Deine Haare sind ja lang geworden, das sieht total gut aus!«, sage ich. Diesmal umarme ich ihn nicht, sondern lasse ihn erst mal ankommen. Ich nehme ihm den kleinen blauen Regenschirm ab, mache ihn wieder auf, eine Hälfte ist ganz eingefallen.
»Du brauchst einen neuen Schirm«, lache ich und stelle ihn zum Trocknen auf den Boden.
»ACH das ist nur mein kleiner Notfallschirm, der in meine Computertasche passt. Soll ich meine Schuhe ausziehen?« Ein höflicher Mensch.
»Ich habe noch soviel an dich gedacht. Dass du so krank bist, tut mir so leid«, sage ich und nehme ihn kurz in den Arm. Ich fühle die Regentropfen auf seinem Rücken, sie perlen auf dem Wollpullover ab. Als er durch den Regen gelaufen ist, wird die kaputte Schirmseite wohl nach hinten gezeigt haben, das ganze Wasser ist ihm über den Rücken gelaufen. Der Pullover fühlt sich so weich an, wie 100 % Kaschmirwolle. Als ehemalige Waldorfschülerin kann ich Wollmischungen genau erfühlen und habe damit schon so manche Verkäuferin verblüfft. Es ist genau so ein Pulli, wie der, den er zu unserem ersten Date anhatte. Der war hellblau mit V-Ausschnitt. Weiß ich noch.
»Dazu sage ich gleich was.« Er lächelt mich an und zeigt ins Gartenzimmer.
Ich habe ein wenig Angst davor, was er dazu sagen könnte. Hoffentlich nicht so was wie »du bist eigentlich ganz nett, aber ich liebe eine andere« oder »ja weißt du, du hast halt Kinder, das kommt für mich nicht so in Frage als Partnerschaft.« Ich habe mir
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