Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating

AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating

Titel: AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gill Gartenstadt
Vom Netzwerk:
habe immer davon geträumt, dass sich jemand zu mir aufs Sofa setzt und mir etwas von der jüdischen Kultur berichtet.
    Mit großen Augen höre ich zu, er merkt, dass ich von einer Mikwe noch nie etwas gehört habe.
    »Aber das musst du doch wissen, ich dachte du hast jüdische Wurzeln?«, fragt er überrascht.
    »Ja, aber ich weiß nichts.«
    Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Die E-Mail im Januar, auf die er nie reagiert hat, hat er also doch bekommen. Ich hoffe, er versteht, dass das, was er weiß, für mich mehr Bedeutung hat, als dass er krank und pleite ist.
    »Ich weiß sehr viel darüber, ich habe in Berlin auch Judaistik studiert.« Er gibt sich wirklich Mühe heute Abend.
    Ich erzähle ihm, dass ich das Jüdische Museum meinem alten Büro mal vorschlagen werde, wir uns aber als Freiberufler auch umhören könnten, ob der Auftrag schon vergeben sei und wer das plane, um daran mitarbeiten zu können. Ich erzähle ihm, dass ich mich bei meinen alten Kollegen sowieso noch melden wollte, wegen der WasserWelt, ich aber momentan nicht wüsste, wie ich das zeitlich alles hinbekommen sollte. Denn den interaktiven Laufsteg will ich ja auch noch als Produkt anbieten. Er ist etwas irritiert, dass ich die Anfrage für die WasserWelt an Weihnachten schon bekommen habe. Er würde so gerne daran arbeiten. Aber ich könne ihn ohne Portfolie ja nicht weiterempfehlen, sage ich. Ich müsste ja schon irgendeinen Anhaltspunkt haben, dass das stimmt, was er über sich und seine Arbeiten sagt. Er meint dazu, dass er seine Jobs bisher immer über Empfehlungen bekommen habe und deshalb gar kein Portfolio hätte. Ich glaube er merkt jetzt, dass meine Frage nach seinen Internetreferenzen bei unserem Chat einen positiven Hintergrund hatte. Wir stellen fest, dass wir sehr gerne zusammen arbeiten würden, weil wir beide gerne Inhalte recherchieren und schreiben und ähnliche Interessen haben.
    Mir fällt auf, dass er häufig seine Lippen spitzt, »MMH« sagt und dabei mit dem Kopf kurz nach vorne nickt, als würde er Luftküsse verteilen. Das ist eine wirklich süße Eigenart von ihm und jetzt, da er wieder gesund wirkt, so frisch, sieht es auch ganz anders aus als im Mai. Vergleichsweise hat er das im Mai in Zeitlupe getan. Jetzt ist seine Mimik wieder schneller, er redet flüssig und viel, so wie bei unserem ersten Treffen.
    »Möchtest du nichts trinken?«, frage ich.
    »Nein, nein, keinen Alkohol.«
    »NEE, ich meine ja auch das Wasser.« Er trinkt es in einem Zug aus.
    »Hast du vielleicht Apfelessig da?«
    »Apfelessig?« Ich muss lachen. Jetzt kokettiert er aber schon mit seinem Kranksein, seinen Magenproblemen.
    »Möchtest du Apfelsaft? Den kaufe ich immer für die Kinder«, biete ich an.
    »Nein danke. Welchen Essig benutzt du denn?« Die Frage stellt er mir so, als würde dies unser zukünftiges Zusammensein entscheiden.
    »Kräuteressig. Aber ich habe auch Essigessenz, die kann ich dir mit Apfelsaft zusammenschütten, wenn du magst.«
    Wie kommt er bloß auf Apfelessig? Ist das eine Anspielung auf meine penetranten Einladungen in den Garten? Paradies. Apfel. Verführung. Alles Essig. Apfelessig?
    Mal nachgeschlagen: »Essig sein mit etwas« stammt aus dem Jiddischen; hessek / hessik / hések = Verlust, Schaden, Nachteil. Die Redensart kann aber auch von der Weingärung kommen. Bei zu langer Gärung wird der Wein zu Essig, also verliert seinen Wert. Ist das bei lange gärender, unerfüllter Lust dann auch so?
    »Essigessenz? Die halt mal bloß von den Kindern fern. Wozu brauchst du das?«
    »Zum Reinigen und Entkalken«, sage ich.
    »Wenn ich meine Töpfe entkalken wollte, habe ich immer normalen Essig reingeschüttet, mit Wasser verdünnt und das ganze aufgekocht.«
    AHA. Jetzt tauschen wir schon Haushaltstipps, ich kann’s kaum glauben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er besonders ordentlich und reinlich ist, exakt wie Felix.
    Wir sprechen dann noch über das Arbeiten von zuhause aus, und er fragt, warum ich denn nur halbtags arbeiten wolle, ich könne doch auch mit den Kindern arbeiten, er hätte keine Probleme, wenn alle um ihn rumsprängen. Das ist eigentlich nett, dass er das sagt. Es bedeutet, dass er gerne hier mit mir den ganzen Tag zusammenarbeiten würde und die Kinder ihn dabei nicht stören würden.
    »Du hast ja keine Ahnung, wie das ist mit Kindern«, sage ich.
    »Doch, ich kenne genug alleinerziehende Mütter die das so machen«, sagt er. Moment. Das kann jetzt sein, dass ich mich verhört habe

Weitere Kostenlose Bücher