AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating
oder falsch erinnere. Hat er »alleinerziehend« oder »arbeitende« Mütter gesagt? Als er nämlich im Mai hier war, sagte er, er kenne viele Familien mit nur einem Kind.
»Multitasking an dieser Stelle halte ich für absoluten Blödsinn«, fauche ich zurück. »Wie soll ich arbeiten, wenn mich meine Kinder ständig am Ärmel ziehen?« Der Gedanke, dass er viele, viele alleinerziehende Mütter kennt und womöglich überall ein turbulentes Arbeitsplätzchen hat, macht mich rasend und so richtig aggressiv.
»Aber hier wäre ja eigentlich auch genug Platz zum arbeiten.« Ich deute nach oben, da könnte er dann nachmittags arbeiten, wenn wir zusammen arbeiten würden.
»Wo arbeitest du denn?«, frage ich ihn.
»ACH mal hier mal da. Café, Hotellobby. Du weißt ich liebe Städte.« Ein typischer Stadtnomade, wie es in Berlin viele gibt, besonders im kreativen Bereich. Ich stelle mir vor, wie er durch die Städte läuft und sich irgendwo hinsetzt, stundenlang. Er könnte recht unauffällig wirken.
Das er so viele alleinerziehende Mütter kennt, beschäftigt mich weiter, und darum streue ich jetzt wie zufällig ins Gespräch, dass ich kürzlich in Berlin war. Erzähle aber nicht warum oder was ich da gemacht habe. Nur, dass ich auch meinen alten Chef treffen wollte, er aber dann leider doch nicht konnte.
Dann stehe ich auf, klappe meinen Computer auf und zeige ihm die Filme vom interaktiven Laufsteg. Er erkennt alle Orte wieder. Da wo ich in Berlin war, war er auch. Das ist eigentlich ein sehr schöner Gedanke. Wir stellen sogar fest, dass wir nicht nur in Moabit, sondern auch in Schöneberg gewohnt haben und auch da viel zu Fuß unterwegs waren. Die alte Langenscheidtfabrik kannte er sogar auch, über die Langenscheidtbrücke ist er immer nach Kreuzberg gelaufen. Genau wie ich.
Während ich ihm meine Arbeit zeige, klingelt sein Handy. Er geht ran und redet auf Englisch mit der Künstlerin. Er plaudert doch tatsächlich die beiden Jobmöglichkeiten, die ich ihm gerade unterbreitet habe, weiter:
»YEAH, I’m here in a meeting. Two very interesting projects, I’ll tell you later about it.« 57
Direkt von meinem Sofa aus. So fängt er zwei Fliegen, pardon Frauen, mit einer Klappe. Er suggeriert uns beiden und zwar gleichzeitig, wie begehrt er ist und wie gut vernetzt. Männliche BHK 58 -Technik halt. Wenn er diese Art von Kontakten als »Gut vernetzt« bezeichnet. Dann gute Nacht, Seriosität. Zu meiner Seriosität: ich bin kurz davor ihm das Handy wegzunehmen und WE ARE ALSO GOING TO FUCK! reinzurufen. Dann bekommt er eine SMS. Dann tippt er eine SMS, und dann guckt er ständig, ob wieder eine Antwort kommt. »Ja, wie viele Blumen bestäubst du denn gerade?«, denke ich, frage das aber nicht laut. Trotzdem mache ich mich lustig:
»Ja, wie jetzt? Du bist bei mir und starrst ständig aufs Handy, ob da eine SMS kommt? Mach das Ding doch aus!«
»Ja, aber jetzt wissen die ja, dass ich erreichbar bin. Da konnte ich ja jetzt auch nicht NICHT reagieren. Und außerdem bist du der Grund, weshalb das Gerät angeschaltet ist. Als ich geklopft habe, hätte ich dich nämlich angerufen, falls du nicht aufgemacht hättest«, so windet er sich charmant heraus. Und noch eins. Er tippt mir auf die Schulter:
»Wie kommt’s, dass eine so hochtechnologisierte Frau wie du der modernen Kommunikationstechnik so genervt gegenübersteht?« Wenn das in irgendeiner Form ein Kompliment sein soll, dann ist es heute sein erstes.
Über die Arbeit zu sprechen ist glaube ich mein Kennenlernritual. Das war es immer schon. Ich definiere mich sehr stark über das was ich tue, getan habe, es ist ein Teil von mir. Meine Leidenschaft steckt da drin. Deshalb stelle ich mich immer gerne mit meinen Arbeiten vor. Ein wichtiger Bestandteil meiner Identität. Und umgekehrt versuche ich andere Menschen über das was sie getan haben oder tun zu begreifen und zu verstehen.
Ich zeige auf die 1,80 m große Kartonrakete vor uns.
»Schau mal, die Rakete habe ich für die Kinder gebaut. Wenn man sie hinlegt, ist es ein U-Boot.«
»DOUBLE USE, ja das ist gut.« Das Stichwort zum heutigen Abend.
Ich erzähle von den Kindergeburtstagen in den Wiesenwalder Villen und dass ich einen Geburtstag für Leon zum Thema Roboter plane. Ich fühle mich sehr wohl. Die Unterhaltung macht richtig Spaß, und auch ich habe das Gefühl, dass er mir gerne zuhört. Auf seine kleine Tüte deutend erzähle ich noch, dass meine Freundin Miriam neulich hier in Wiesenwald Urlaub
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