AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating
schon soviel den Kopf darüber zerbrochen, dass ich es jetzt schon gar nicht mehr wissen will, warum er den Kontakt abbrechen wollte.
»Was möchtest du trinken? Ich habe ganz viel alkoholfreies Bier im Keller«, biete ich an.
»Das trinke ich gerne, aber ich habe heute etwas Magenprobleme.« Er deutet auf seinen Bauch.
»Ein Glas Leitungswasser wär’ OK.«
Hat er wegen mir Magenprobleme? Ist er vielleicht doch etwas nervös? Und wie praktisch, denke ich, was für ein pflegeleichter, anspruchsloser Mensch.
Ich hole das Wasser, diesmal im neuen Glas ohne Kalkrand,
DANN KLAPPT’S AUCH MIT DEM NACHBARN 54 ,
und wir setzen uns aufs Sofa. Er hat seine kleine olivgrüne Laptoptasche an das Tischbein gelehnt, davor liegt ein kleines weißes Tütchen. Von der Apotheke, mit Medikamenten? Eine Packung Kondome? HA, HA. Nein. (Das mit den Kondomen habe ich in dem Moment natürlich nicht gedacht, sondern füge es erst jetzt beim Schreiben an.) TAKIFUGU 55 steht darauf, der Japaner aus der Bachstraße. Da spreche ich ihn nachher mal drauf an.
»Schön, dass du da bist. Du sieht jetzt wieder viel besser aus, das freut mich«, beginne ich das Gespräch, »Flora geht jetzt neuerdings in den Kindergarten, und ich habe endlich Zeit für mich, mich neu zu orientieren. Du sagtest, du hast eine Abgabe? Was machst du denn gerade so?«
»ACH ich übersetze einen Text von zwei Künstlern vom Englischen ins Deutsche. Der ist voller Gerundien und Wortspielereien. Deutsche Sätze werden da einfach länger.«
»Ja, ich weiß, die ›-ing‹ Endungen. Das stimmt, die deutschen Texte sind immer länger«, entgegne ich.
»Weißt du was?«, fahre ich fort, »ich habe heute zufällig diesen Artikel in der Rheinischen Zeit gefunden. Da wird ein Jüdisches Museum in Köln gebaut. Das wäre doch DER Job für dich. Klemm dich doch mal dahinter.«
»ACH, das Museum soll jetzt doch gebaut werden? Da hat es sogar mal eine Bürgerbefragung gegeben. Das Museum soll auf dem Rathausplatz über einer jüdischen Siedlung aus dem Mittelalter errichtet werden, aber weil die Bürger sich an den leeren Platz gewöhnt haben, möchte die Mehrheit da jetzt kein Gebäude stehen haben. Das kam in Israel nicht gut an. Köln ist da als kreative Stadt sehr beliebt, auch wegen der Schwulenszene«, (ich weiß, dass wir beide gerade an entsprechende Sexpraktiken denken) »aber über den Bürgerentscheid gegen das Museum haben sich alle Juden aufgeregt.« Marc hört gar nicht mehr auf zu reden. Er sitzt auf meinem Sofa, da wo ich abendelang über ihn geschrieben habe, so manche Träne verschüttete und redet und redet, um mir zu gefallen. Ich falle ihm lieber nicht ins Wort, sondern lasse ihn mir mal imponieren. Man soll Männern beim Balzen ja einfach nur zusehen und sie beobachten. Das habe ich neulich in einem Ratgeber gelesen, den ich mir aus lauter Verzweiflung gekauft habe. 56 Ich genieße ihn total. Ich nippe an meinem Gläschen und lausche dem, was er mir zu sagen hat.
»In Köln, da wo das Museum geplant ist, genau an dieser Stelle gibt es eine Mikwe. Das ist ein jüdisches rituelles Reinigungsbad. Da gehen die Frauen z.B. nackt baden, wenn sie ihre Regel hatten. Das Wasser muss immer in Bewegung sein, also kein stehendes Gewässer, deshalb gräbt man bis zum Grundwasser. Eine Treppe führt tief in den Schacht hinunter. Das Bad ist öffentlich. Leider haben sie eine Glaspyramide darüber gebaut, und von dem warmen Sonnenlicht haben sich Algen gebildet. Wir können da gerne mal zusammen hingehen. Ich zeige dir die Mikwe und diese Gegend in Köln.«
Das sagt er jetzt nur so, um mir weiszumachen, dass er mich wieder sehen will, aber eigentlich will er nur Sex für heute Abend. Denke ich. Und dann haue ich mir gedanklich auf die Finger, dass ich so misstrauisch bin.
»Ja, gerne.«
»Ich habe in Deutschland schon viele Mikwen besucht. Ich kenne sie schon fast alle, ich bin ein Mikwenexperte! Eine z.B. ist in einem Wohnhaus. Da muss man klingeln, und jemand öffnet die Tür und entschuldigt sich, dass im Flur die Regenmäntelchen von den Kindern hängen. Eine andere Mikwe ist nach den Bauplänen eines Kirchturms, der daneben steht, gebaut, nur die Treppe wurde eben umgedreht.«
Ein schönes phallisches Bild für heute Abend. Das andere Bild liegt allerdings die ganze Zeit schon auf dem Tisch. DIE WELTZEIT. Auf der Titelseite ist ein liegender Pinocchio abgebildet, mit einer langen, langen Nase.
Über das, was Marc da sagt, bin ich sehr beeindruckt. Ich
Weitere Kostenlose Bücher