Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Halle. Igraine hatte noch nie dem Rat der Männer beigewohnt, aber sie konnte gut genug Gedanken lesen, um zu hören, was alle schweigend dachten: Der Großkönig, der unter ihnen saß, würde den nächsten Sommer nicht mehr erleben. Aber wer würde im nächsten Jahr zur gleichen Zeit auf seinem Throne sitzen?
Ambrosius legte den Kopf gegen die hohe Rückenlehne seines Stuhls, und dies war das Zeichen für Lot. Diensteifrig sagte er: »Ihr seid erschöpft, mein König. Wir haben Euch ermüdet. Erlaubt, daß ich Euren Kämmerer rufe.«
Ambrosius lächelte ihn freundlich an. »Ich werde bald genug ruhen, Neffe, und zwar lange…« Aber selbst diese Worte strengten ihn an. Er seufzte tief, und Lot half ihm, die Tafel zu verlassen. Nach seinem Weggang löste sich die Runde auf. In kleinen Gruppen standen die Männer beisammen und sprachen leise miteinander.
Ectorius trat näher zu Gorlois. »Der Herr von Orkney versäumt keine Gelegenheit, sich in den Vordergrund zu drängen und das unter dem Deckmantel größter Sorge um den König… jetzt sind wir die Bösen, die Ambrosius erschöpft und sein Leben verkürzt haben.«
»Lot möchte nicht hören, wer zum Großkönig ernannt werden soll«, erwiderte Gorlois, »damit Ambrosius keine Gelegenheit hat, seine Wahl bekanntzugeben, denn viele von uns – und dazu gehöre ich ebensogut wie Ihr, Ectorius – wären dadurch gebunden.«
Ectorius sagte: »So ist es. Ambrosius hat keinen Sohn und kann keinen Erben benennen. Aber sein Wunsch muß uns leiten, und das weiß er. Uther strebt für meinen Geschmack zu sehr nach dem Purpur der Cäsaren. Aber trotzdem ist er besser als Lot. Wenn wir uns also zu entscheiden haben, in welchen sauren Apfel wir beißen müssen…«
Gorlois nickte bedächtig. »Unsere Männer werden Uther folgen. Aber die Stämme, Bendigreid Vran und seine Leute leisten einem Mann, der so sehr Römer ist, keinen Eid. Und wir brauchen die Stämme. Orkney würden sie folgen…«
»Lot taugt nicht zum Großkönig«, erwiderte Ectorius. »Es ist besser, wir verlieren die Stämme als das ganze Land. Lot versteht es, Zwietracht zu säen, damit er der einzige ist, dem alle vertrauen. Pah!« Er spuckte aus. »Dieser Mann ist eine Schlange. Mehr will ich dazu nicht sagen.«
»Und doch kann er überzeugen«, entgegnete Gorlois. »Er ist klug, besitzt Mut und Weitblick…«
»Uther ebenfalls. Und gleichgültig, ob Ambrosius Gelegenheit hat, seine Wahl öffentlich bekanntzugeben oder nicht, Uther ist sein Mann. Soviel steht fest.«
Gorlois knirschte grimmig mit den Zähnen und sagte: »Ja, ja, meine Ehre verpflichtet mich, Ambrosius' Willen zu folgen. Aber ich wünschte, seine Wahl wäre auf einen Mann gefallen, dessen Anstand seinem Mut und seiner Beliebtheit entspräche. Ich traue Uther nicht, und doch…« Mit einem Blick auf Igraine schüttelte er den Kopf. »Mein Kind, das alles wird Euch wohl nicht interessieren. Ich werde Euch von meinen Männern in das Haus zurückbringen lassen, in dem wir die Nacht verbracht haben.«
Weggeschickt wie ein kleines Mädchen, kehrte Igraine fügsam um die Mittagszeit nach Hause zurück. Sie mußte über vieles nachdenken. Also auch Männer, selbst Gorlois, waren durch ihre Ehre gebunden und mußten Dinge tun, die sie nicht tun wollten. Dieser Gedanke war neu für sie.
Und Uthers Augen, die sie gebannt ansahen, verfolgten sie immer noch. Wie er sie angestarrt hatte… nein, nicht sie, sondern den Mondstein. Hatte der Merlin ihn besprochen, damit Uther sich in die Frau verliebte, die ihn trug?
Muß ich Vivianes und Merlins Willen erfüllen? Muß ich mich Uther ebenso fügen wie Gorlois?
Schon der Gedanke stieß sie ab. Und doch… Sie spürte immer noch, wie Uthers Hand sie berührt und seine grauen Augen sie durchbohrt hatten.
Man könnte wirklich glauben, daß der Merlin den Stein besprochen hat, damit ich immerzu an Uther denken muß!
Sie hatte das Haus erreicht. Igraine ging in ihre Kammer, nahm den Mondstein vom Hals und steckte ihn in einen Beutel, den sie an der Hüfte trug.
Wie albern,
dachte sie,
ich glaube nicht an die Märchen von Liebeszauber.
Sie war eine erwachsene, neunzehnjährige Frau und kein hilfloses Kind mehr. Sie war verheiratet, und in ihrem Leib wuchs vielleicht schon der Sohn, den ihr Gemahl sich wünschte. Sollte sie sich einem anderen Mann als ihrem Gemahl zuwenden, sollte sie überhaupt auf solche Gedanken kommen, gab es sicherlich begehrenswertere Männer als diesen großen Tolpatsch, der seine
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