Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
ihrer Stimme den Raum erfüllte. Viviane beugte sich über die schlafende Morgaine, nahm sie auf den Arm und hielt sie mit großer Zärtlichkeit. »Noch ist sie nicht Jungfrau, und ich bin noch nicht die weise Frau«, sagte sie. »Aber wir sind die Drei, Igraine. Zusammen sind wir die Göttin, und sie ist mitten unter uns.«
Igraine wunderte sich, weshalb Viviane ihre Schwester Morgause nicht genannt hatte, und sie waren so offen miteinander, daß Igraine die Worte deutlich hörte, als hätte Viviane laut gesprochen. Sie sagte es flüsternd, und Igraine sah, wie ihre Schwester zitterte: »Die Göttin hat ein viertes Gesicht, das verborgen ist, und du solltest zu ihr beten, wie ich es tue… wie ich es tue, Igraine… daß Morgause nie dieses Gesicht tragen wird.«
3
Igraine schien es, als reite sie schon eine Ewigkeit durch den Regen. Der Weg nach Londinium war wie die Reise von einem Ende der Welt zum anderen.
Bisher war sie nur wenig gereist. Nur einmal, vor langer Zeit, von Avalon nach Tintagel. Sie verglich das ängstliche und verzweifelte Kind von damals mit der Frau von heute. Jetzt ritt sie an Gorlois' Seite, und er gab sich große Mühe, ihr etwas über das Land zu erzählen, durch das sie kamen. Sie lachte und neckte ihn. Und nachts im Zelt legte sie sich willig in sein Bett. Hin und wieder vermißte sie Morgaine und fragte sich, wie es dem Kind erging – weinte sie des Nachts und verlangte nach ihrer Mutter? Aß sie, was Morgause ihr bereitete? Aber doch war es angenehm, wieder frei zu sein und in einer großen Gesellschaft von Männern zu reiten, sich ihrer bewundernden Blicke und Ehrerbietung bewußt zu sein… keiner von ihnen wagte es, sich der Herzogin anders als mit einem bewundernden Blick zu nähern. Wieder war sie das junge Mädchen. Aber diesmal fürchtete sie sich nicht und schreckte vor dem fremden Mann nicht zurück, der ihr Gemahl war und dem sie zu gefallen hatte. Sie war wieder jung, aber ohne die kindliche Unbeholfenheit der Mädchenzeit, und das genoß sie. Der unaufhörliche Regen, der die Hügel in der Ferne im Dunst verschwimmen ließ, so daß sie wie in Wolken ritten, störte Igraine nicht im geringsten.
Wir könnten im Nebel den Weg verlieren, uns ins Reich der Feen verirren und nie mehr in diese Welt zurückkehren, in der der sterbende Ambrosius und der ehrgeizige Uther die Rettung Britanniens vor den Barbaren planen. Britannien könnte wie Rom unter dem Ansturm der wilden Horden fallen, ohne daß wir es je erfahren würden oder uns deshalb sorgen müßten…
»Bist du müde, Igraine?« fragte Gorlois sanft und besorgt. Er war wahrhaftig nicht das Ungeheuer, das sie vor vier Jahren während der ersten entsetzlichen Tage in ihm sah. Jetzt war er nur ein alternder Mann, dessen Haare und Bart grau wurden (allerdings rasierte er sich nach römischer Sitte sehr sorgfältig). Er trug die Narben jahrelanger Kämpfe und bemühte sich rührend darum, ihr zu gefallen. Wenn sie nur damals nicht so verängstigt und ablehnend gewesen wäre, hätte Igraine vielleicht gesehen, daß er sich auch damals bemühte, ihr zu gefallen. Er war nicht hart zu ihr gewesen… oder wenn er es war, geschah es nur, weil er so wenig vom Körper einer Frau zu wissen schien und wenig Ahnung hatte, wie man mit ihm umging. Jetzt sah sie darin nur Ungeschicklichkeit, keine Grausamkeit mehr. Und wenn sie ihm sagte, daß er ihr weh tat, wurden seine Liebkosungen zärtlicher. Das Mädchen Igraine hatte die Schmerzen und das Entsetzen für unvermeidlich gehalten, als Frau wußte sie es nun viel besser.
Sie lächelte Gorlois fröhlich an und antwortete: »Nein, überhaupt nicht! Ich glaube, ich könnte ewig so weiterreiten. Aber woher wißt Ihr, daß wir in all diesem Nebel nicht unseren Weg verlieren und Londinium nie erreichen werden.«
»Mache dir darüber keine Sorgen«, sagte er ernst. »Ich habe sehr gute Führer. Sie kennen die Wege und Stege bei jedem Wetter. Noch vor Anbruch der Dunkelheit werden wir die Römische Straße erreichen, die ins Herz der Stadt führt. Heute nacht werden wir unter einem festen Dach und in einem ordentlichen Bett schlafen.«
»Ich freue mich darauf, wieder in einem richtigen Bett zu liegen«, erwiderte Igraine zurückhaltend und sah, wie sie es erwartet hatte, die aufflammende Leidenschaft in Gorlois' Gesicht und in seinen Augen. Aber er wandte sich ab. Er schien sich beinahe vor ihr zu fürchten, und Igraine, die ihre Macht gerade entdeckt hatte, freute sich darüber.
Sie ritt
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