Azathoth - Vermischte Schriften
es der Glanz des hohen Olymps getan hätte, denn in diesem kleinen Hofstaat hatte der Göttervater seine Glorie für die Augen der Sterblichen gedämpft. Vor der lorbeerumwundenen Öffnung der
corycianischen Höhle saßen aufgereiht sechs edle Gestalten, dem Aussehen nach Sterbliche, aber der Miene nach Götter. Die Träumerin erkannte sie nach Abbildungen, die sie gesehen hatte, und sie wußte, daß sie niemand anders waren als der göttliche Mäonier, der vogelgleiche Dante, der mehr als bloß sterbliche Shakespeare, der das Chaos erforschende Milton, der kosmische Goethe und der musenbegnadete Keats. Sie waren die Sendboten, welche die Götter ausgeschickt hatten, um den Menschen mitzuteilen, daß Pan nicht tot war, sondern nur schlief, denn in der Dichtkunst sprechen die Götter zu den Menschen. Dann sprach der Donnerer:
»O Tochterdenn da du meiner nie endenden Ahnenreihe angehörst, bist du wahrhaftig meine Tochter -, erblicke auf Elfenbeinthronen der Ehre die ehrwürdigen Sendboten, welche die Götter hinabgesandt haben, damit Worte und Schriften des Menschen gewisser Spuren göttlicher Schönheit nicht entbehren müssen. Andere Barden sind gerechterweise von den Menschen mit ewigem Lorbeer gekrönt worden, aber diese hier hat Apollo gekrönt, und ihnen habe ich einen besonderen Platz gegeben, denn es sind Sterbliche, welche die Sprache der Götter gesprochen haben. Lange haben wir in Lotosgärten jenseits des Sonnenuntergangs geträumt und uns nur in Träumen
verständlich gemacht; aber die Zeit rückt heran, da unsere Stimmen nicht länger schweigen werden. Es ist eine Zeit des Erwachens und des Wandels. Wieder einmal hat Phaeton seinen Wagen zu tief hinabgelenkt, hat die Felder verbrannt und die Flüsse versiegen lassen. In Gallien weinen einsame Nymphen mit zerrauftem Haar neben Brunnen, die vertrocknet sind, trauern über Flüssen, rot gefärbt vom Blut der Sterblichen.
Ares und seine Scharen sind mit Götterwahnsinn ausgezogen und zurückgekehrt, Daimos und Phöbus haben ihre unnatürliche Lust gestillt. Tellus irrt voll Trauer umher, und die Gesichter der Menschen gleichen denen der Erinnyen, wie damals, als Asträa in den Himmel flüchtete und die uns zu Gebote stehenden Wasser alles Land mit Ausnahme eines einzigen hohen Gipfels bedeckten. Inmitten dieses Chaos, bereit, sein Kommen anzukündigen und seine Ankunft doch zu verhüllen, müht sich jetzt unser letztgeborener Sendbote ab, in dessen Träumen all die Bilder enthalten sind, die andere Sendboten vor ihm geträumt haben. Er ist derjenige, den wir als Verschmelzung aller Schönheit, welche die Welt zuvor gekannt hat, dazu auserwählt haben, in ein einziges prächtiges Ganzes aufzugehen und Worte niederzuschreiben, in denen all die Weisheit und Lieblichkeit der Vergangenheit nachhallt. Er ist derjenige, der unsere Rückkehr verkündigen und von künftigen Tagen singen soll, da Faune und Dryaden in Anmut wie gewohnt die Haine bevölkern. Jene lenkten unsere Wahl, die jetzt auf elfenbeinernen Thronen vor der Corycianischen Grotte sitzen und in deren Liedern du die erhabenen Töne vernimmst, an denen du in Zukunft den größeren Sendboten erkennen sollst.
Lausche ihren Stimmen, wenn sie dir einer nach dem anderen hier ihr Lied singen. Jeden Ton sollst du künftig wieder in der Dichtkunst vernehmen, jener Dichtkunst, die deiner Seele Frieden und Freude bringen wird, obwohl du in trüben Jahren nach ihr suchen mußt. Lausche aufmerksam, denn jede Saite, die verklingt, wird dir wieder erscheinen, wenn du zur Erde zurückkehrst, sobald Alpheus, der seine Gewässer in die Seele von Hellas versenkt, als die kristallene Arethusa im fernen Sizilien wieder erscheint.«
Nach diesen Worten Apollos erhob sich Homer, der älteste unter den Barden, ergriff seine Leier und schlug eine Hymne auf Aphrodite an.
Marcia verstand kein Wort Griechisch, und doch traf die Botschaft nicht auf verständnislose Ohren, denn der rätselhafte Rhythmus enthielt etwas, das alle Sterblichen und Götter ansprach und keiner Übersetzung bedurfte.
So war es auch mit den Liedern Dantes und Goethes, deren unbekannte Worte den Äther mit Melodien durchdrangen, die unschwer zu verstehen und zu bewundern sind. Aber zuletzt erklangen Töne vor der Lauscherin, an die sie sich erinnerte. Es war der Schwan von Avon, einst ein Gott unter Menschen, und noch immer ein Gott unter Göttern:
Schreibt Eurem Sohn, schreibt meinem liebsten Herrn, Daß er aus blut'ger Schlacht zur Heimat kehre;
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