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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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ihnen, der ausgereicht hätte, einen Menschen taub zu machen. »Hört die Ziegenmelker«, vernahm ich das Murmeln meines Gastgebers.
    »Sie rufen nach einer Seele. Clem Whateley liegt im Sterben.« Sowie die Stimme des Regens langsam verklang, nahmen die Stimmen der Ziegenmelker zu, und bald wurde ich schläfrig und döste ein.
    Ich komme jetzt zu jenem Teil meiner Geschichte, der mich an den eigenen Sinnen zweifeln läßt, etwas, das sich, im Rückblick betrachtet, anscheinend unmöglich zugetragen haben kann. Und wirklich habe ich mich im Lauf der Jahre oftmals gefragt, ob ich nicht alles geträumt habe - und doch weiß ich, daß es kein Traum war, und ich besitze noch immer gewisse Zeitungsausschnitte, die ich als Beweis vorzeigen kann, daß ich nicht geträumt habe -Ausschnitte über Amos Stark, über seine testamentarische Verfügung an Genie Wentworth und - am merkwürdigsten von allem -über die höllische Verwüstung eines Grabes, das halbvergessen an einem Berghang in dem verfluchten Tal liegt.
    Ich hatte nicht lange geschlafen, als ich aufwachte. Der Regen hatte aufgehört, aber die Stimmen der Ziegenmelker hatten sich dem Haus genähert und bildeten jetzt einen Donnerchor. Einige der Vögel saßen unmittelbar unter dem Fenster des Zimmers, in dem ich lag, und das Dach der wackligen Veranda muß mit den Nachtvögeln bedeckt gewesen sein. Ich bezweifle nicht, daß es ihr Lärmen war, das mich aus dem leichten Schlaf erweckt hatte, in den ich gesunken war. Ich lag einige Augenblicke da, um mich zu sammeln, und schickte mich dann an aufzustehen, denn da der Regen jetzt aufgehört hatte, war die Fahrt weniger gefährlich, und der Motor lief weniger Gefahr abzusterben.
    Gerade aber als ich die Füße von der Couch schwang, ertönte an der Außentür ein Klopfen.
    Ich saß regungslos und mucksmäuschenstill - und auch drüben im anderen Zimmer war es mucksmäuschenstill.
    Wiederum klopfte es, diesmal ungeduldiger.
    »Wer ist da?« rief Stark.
    Es kam keine Antwort.
    Ich bemerkte, daß sich das Licht bewegte, und ich hörte Starks Triumphgeschrei. »Mitternacht vorbei!« Er hatte auf seine Uhr geblickt, und zur selben Zeit blickte ich auf meine.
    Seine Uhr ging zehn Minuten vor.
    Er ging zur Tür.
    Ich konnte feststellen, daß er die Lampe niederstellte, um die Tür zu öffnen. Ob er vorhatte, die Lampe wieder aufzunehmen, wie er es getan hatte, um mich zu mustern, kann ich nicht sagen.
    Ich hörte, wie die Tür geöffnet wurde - sei es durch seine Hand oder die eines anderen.
    Und dann erklang ein entsetzlicher Schrei, ein Schrei aus Amos' Kehle, in dem sich Zorn und Grauen mischten. »Nein!
    Nein! Zurück! Ich habe es nicht - ich habe es nicht, ich sage es dir. Zurück!« Er stolperte nach hinten und fiel, und beinahe auf der Stelle ertönte danach ein entsetzlicher, erstickter Schrei, das Geräusch mühsamen Atemholens, ein gurgelndes Keuchen...
    Ich raffte mich auf und stolperte durch den Durchgang in das Zimmer - und dann, für einen entsetzlichen Augenblick, stand ich wie angewurzelt, unfähig, mich zu bewegen, aufzuschreien, so grausig war der Anblick, der sich mir bot. Amos Stark lag auf dem Fußboden, und auf ihm saß rittlings ein verfaultes Skelett, die knochigen Arme um seinen Hals, die Finger in seine Kehle gekrallt. Und am Hinterkopf die zerschmetterten Knochen, wo eine Schrotladung hindurchgegangen war. Das alles erblickte ich in einem Augenblick des Grauens - und dann verlor ich gnädigerweise das Bewußtsein.
    Als ich es ein paar Augenblicke später wiedergewann, war in dem Zimmer alles ruhig. Das Haus war mit dem frischen Moschusgeruch des Regens erfüllt, der durch die offene Eingangstür hereindrang.
    Draußen schrien die Ziegenmelker noch immer, und das Licht des abnehmenden Mondes lag wie bleicher weißer Wein auf dem Boden. Die Lampe brannte noch immer im Flur, aber mein Gastgeber saß nicht in seinem Stuhl.
    Er lag dort, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte, auf dem Fußboden ausgestreckt. Ich wollte nichts weiter als mich so rasch wie möglich von dem entsetzlichen Schauplatz entfernen, aber das Anstandsgefühl zwang mich, neben Amos Stark zu verharren, um mich zu vergewissern, daß ihm nicht mehr zu helfen war. Und in dieser schicksalhaften Pause kam es zur Krönung des ganzen Grauens, zu dem Grauen, das mich schreiend in die Nacht hinauslaufen ließ, um diesem Höllenpfuhl zu entkommen, als wären mir alle Dämonen der jenseitigen Gefilde auf den Fersen. Denn als ich mich über Amos Stark

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