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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Unterricht. Mehr kann ich nicht verantworten. Aber diese zwei Wochen kriege ich hin; auch Ihrem Vater gegenüber. Was halten Sie davon?«
    Er hatte es geschafft, Mark ein weiteres Mal zu verblüffen. Sein Vorschlag klang verlockend, denn er schien ihm alle Optionen offen zu lassen. Aber zugleich spürte Mark auch, daß das eben nur so schien. Was Prein ihm wirklich bot, das war nicht die Möglichkeit, zurückzukommen und alles besser zu machen, sondern ein bequemer Weg, sich aus der Verantwortung zu schleichen. Nicht sehr weit und nicht für lange, aber vielleicht schon zu weit. Wenn es etwas gab, das Mark an sich selbst haßte, dann war es seine Unfähigkeit, nein zu sagen. Bei aller Zeit, die er gehabt hatte, darüber nachzudenken, war ihm sein Entschluß, an seinem achtzehnten Geburtstag ein neues Leben nach seinen Vorstellungen zu beginnen, trotzdem unendlich schwergefallen. Er hatte es getan - oder war zumindest auf dem besten Weg dazu -, aber er ahnte auch, daß er, wenn er Preins Angebot jetzt annahm, alles zunichte machen würde. Diese Zweiwochenfrist zu akzeptieren würde eben bedeuten, nicht nein zu sagen, und das nächste Mal würde es ihm noch schwerer fallen.
    »Ich muß jetzt gehen«, sagte er.
    Prein sah auf die grün leuchtende Digitaluhr im Armatu renbrett. Er hatte noch fast eine halbe Stunde, ehe sein Zug kam. Eine lange Zeit auf einem kalten, zugigen Bahnsteig. Aber er versuchte nicht mehr, Mark zu irgend etwas zu überreden, nicht einmal dazu, die restliche Zeit im geheizten, trockenen Wagen zu verbringen, sondern stieg wortlos aus und half ihm, das Gepäck aus dem Kofferraum zu holen.
    Wenigstens ersparte er ihm eine große Abschiedsszene. Er stieg einfach wieder ins Auto, während Mark die Bahnhofshalle betrat, aber er fuhr nicht weg. Erst eine halbe Stunde später, als der Zug langsam aus dem Bahnhof hinausrollte und die Fünf-Stunden-Reise durch die Nacht antrat, sah Mark ihn vom Bahnhofsvorplatz wegfahren.
    3. Kapitel
    D as Geräusch, mit dem der Körper auf dem Wagendach aufgeschlagen war, würde er wohl nie wieder vergessen. Dabei war es nicht einmal besonders laut gewesen; ein sonderbar weicher, dumpfer Laut - das Geräusch eben, das ein menschlicher Körper verursachte, der mit der Beschleunigung auf ein Wagendach aufprallte, die er bei einem Sturz aus gut fünfundzwanzig Metern Höhe erfuhr. Es hatte ein bißchen wie eine überreife Tomate geklungen, die man auf eine Tischplatte fallen läßt. Das Ergebnis sah auch ganz ähnlich aus — nur daß es sich nicht um eine Tomate gehandelt hatte, sondern um einen Mann von ungefähr hundertachtzig Pfund Gewicht, dessen Überreste die beiden Krankenwagenfahrer noch immer von der Straße... entfernten, soweit sie nicht auf dem Wagendach oder auf Hansens Uniform klebten, hieß das.
    Bremer musterte seinen jüngeren Kollegen mit einer Mischung aus Mitleid und Erleichterung. Mitleid, weil Hansen nach immerhin fünf Minuten noch immer nicht aufgehört hatte, sich zu übergeben, obwohl sein Magen längst leer war und er nur noch bittere Galle hervorwürgte, und Erleichterung, daß nicht er es gewesen war, dem dieser Trottel beinahe auf den Kopf gefallen wäre. Für den Toten selbst empfand er nicht einmal eine Spur von Mitleid, wohl aber einen gehörigen Zorn, und zwar deutlich mehr als nur eine Spur. Bremers privater Meinung nach - die sich von der des Polizeiobermeisters Peter Bremer manchmal gehörig unterschied - hatte jeder das Recht, über sein Leben frei zu entscheiden und es im Extremfall auch zu beenden, wann und wo er es wollte. Aber verdammt noch mal - niemand hatte das Recht, es so zu tun. Selbstmord war eine Sache, eine Frage, über die sich die Psychologen und ihre gottgesandten Kollegen mit dem weißen Kragen die Köpfe heiß reden sollten, wenn es ihnen Spaß machte. Doch den Männern, die verzweifelt versuchten, es einem auszureden, aus fünfundzwanzig Metern Höhe vor die Füße zu springen, das gehörte sich einfach nicht. Es war nicht nur unanständig, es war auch unästhetisch. Von der Zumutung, die es für die armen Kerle bedeutete, die die ganze Schweinerei hinterher auflesen mußten, einmal ganz zu schweigen.
    Angesichts der Situation, in der er sich befand, waren diese Gedanken schon absurd - zumindest aber so abwegig, daß es ihm selbst auffiel. Prompt meldete sich sein schlechtes Gewissen. Er hätte jetzt Bedauern verspüren sollen, angesichts des Lebens, das hier so sinnlos weggeworfen worden war, oder doch zumindest

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