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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aber es war ihm nicht gelungen. Er war unzählige Male dort gewesen, seit jenem schrecklichen Tag vor sechs Jahren. Er sollte ihm vertraut sein wie die Zimmer seiner eig e nen Wohnung, und er war es auch. Und trotzdem.
    Plötzlich konnte er sich nicht mehr daran erinnern.
    30. Kapitel
    Bremer war einfach losgerannt, als er den Schrei hörte. Schon nach wenigen Schritten war ihm selbst aufgefallen, daß das nicht besonders klug war - immerhin stand Sendigs Wagen mit laufendem Motor hinter ihm, und es waren gute fünfzig Meter bis zur Straßenkreuzung, und darüber hinaus war er unbewaffnet oder zumindest doch so gut wie; was nutzte ihm schon eine Pistole, deren Magazin sich in der Tasche ausgerechnet des Mannes befand, den er verfolgte?
    Aber das waren Vernunftsgründe, und Vernunft hatte mit dieser Geschichte nichts mehr zu tun. Er hörte Sendig hinter sich seinen Namen brüllen, und nur einen Augenblick später heulte der Motor des Mercedes auf. Trotzdem - er mußte entweder sämtliche Gesetze der Physik außer Kraft gesetzt haben oder gerannt sein wie nie zuvor im Leben, denn er erreichte die Straßenkreuzung YRU Sendig. Der Mercedes schleuderte an ihm vorbei, drehte sich auf der Kreuzung einmal komplett um seine Achse und beschleunigte dann wieder, aber er hatte ihn immer noch nicht eingeholt.
    Auf den ersten Blick war die Straße leer. Weder von Mark und dem Mädchen noch von einem der beiden Wagen war eine Spur zu entdecken, zumindest nicht im allerersten Moment. Dann sah er, daß dieser Eindruck falsch war. Es gab Spuren - an der rohen Backsteinmauer links von ihm waren frische Kratzer, und darunter lagen Glas- und Kunststoffsplitter wie bunter Regen. Und Blut. Im schwachen Licht der Straße sah es schwarz aus, aber Bremer war zu lange Polizist, um nicht zu wissen, was er sah. Blut. Sehr viel Blut: eine schimmernde Lache inmitten der Glasscherben, und noch mehr in einer unterbrochenen Tropfenspur, die sich den Gehweg entlang zog. Jemand war verletzt worden, sehr schwer verletzt sogar.
    Bremer registrierte all diese Details und noch sehr viel mehr, dessen er sich vielleicht erst später wirklich bewußt werden würde, ohne sein Tempo zu verlangsamen oder gar anzuhalten. Der Junge! Wo war der Junge? Es gehörte nicht sehr viel Phantasie dazu, sich auszurechnen, wer hier verletzt worden war, und noch weniger, zu begreifen, warum er weder von Mark noch den beiden Wagen irgend etwas sah. Aber er hatte den Schrei gehört, und dieses entsetzliche, kreischende Geräusch, das viel zu laut gewesen war, um irgendwie mit den paar Kratzern an der Wand zusammenzuhängen. Etwas war geschehen, das viel schlimmer war als eine simple Entführung oder ein Mord, etwas, das nicht nur Sillmann und das Mädchen betraf, sondern auch ihn und vielleicht auch Sendig und noch sehr viele andere. Es war immer noch im Gange.
    Bremers Blick eilte seinen Schritten voraus und folgte der schnurgeraden Perlenkette aus Blut. Sie führte zu einer schmalen Straße, noch zwanzig Schritte entfernt, und bog im rechten Winkel hinein. Aber dort, wo man Dunkelheit oder allenfalls den bleichen Schein einer Straßenlaterne erwartete, loderte Feuer: ein grellroter, flackernder Schein, der scharfkantige Splitter aus der Nacht riß, lodernde Wunden, die sich mit allesverschlingender Schwärze füllten und dann wieder aufrissen, immer schneller und schneller, in einem wahnsinnigen, rasenden Rhythmus, der irgendwie... lebendig schien, als wäre es kein Feuer, das er sah, sondern der Atem eines Drachen, der auch ihn verschlingen mußte, wenn er ihm zu nahe kam. Der Anblick erfüllte ihn mit einem wilden Entsetzen, das ihn unfähig machte, darauf zu reagieren. Statt anzuhalten oder langsamer zu laufen, rannte er nur noch schneller, näherte sich dem Feuer wie ein Schmetterling einer Kerzenflamme, deren Verlockung er nicht widerstehen konnte, obwohl er tief in sich wußte, daß sie ihn verzehren würde.
    Kurz bevor er die Straße erreichte, hatte Sendig seinen Wagen wohl endlich wieder unter Kontrolle bekommen, denn der Mercedes schoß mit aufheulendem Motor an ihm vorbei und bremste dann so hart, daß die Reifen Kielspuren aus grauem, fettigem Qualm zu ziehen begannen. Der silbergraue Lack flammte rot auf, als er in den Bereich des Lichtes geriet, und was immer Sendig in diesem Moment sah, es ließ ihn erneut die Gewalt über den Wagen verlieren: Der Mercedes brach aus, v ollführte zum zweiten Mal innerhalb weniger Sekunden eine komplette Pirouette und prallte

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