AZRAEL
wußte, wer sie war, konnte mit diesem Wissen aber nichts anfangen. Hinter Sendigs Mercedes kam ein weiterer Wagen mit kreischenden Bremsen zum Stehen, und plötzlich waren da noch mehr Stimmen, Schreie, Lärm. Nichts von alledem hatte irgendeine Bedeutung.
» Der Junge! « schrie Sendig noch einmal. Seine Stimme brach fast. » Holen Sie den Jungen raus! Er verbrennt! «
Es waren diese Worte, die den Bann endgültig brachen. Der Wahnsinn hatte ihn gar nicht ganz losgelassen, sondern sich nur getarnt, aber mit einem Mal begriff er, was wirklich geschehen war - der Schatten, den er gesehen hatte, war so real gewesen wie das Feuer und die Hitze, die seine Lungen versengte. Es war Mark. Er lag nur wenige Meter von ihm entfernt zusammengekrümmt auf dem Boden. Hinter ihm schossen drei Meter hohe, prasselnde Flammen aus einer Benzinlache in die Höhe, und kleinere, blaue Flämmchen bewegten sich in einem spielerisch anmutenden Tanz auf ihn zu. Die Lache erhielt noch immer Nahrung aus dem geborstenen Tank eines der Wagen und breitete sich aus. Noch ein paar Sekunden, und sie mußte die hilflos daliegende Gestalt erreicht haben.
Bremer riß erneut schützend beide Arme vor das Gesicht und lief gebückt los, mitten hinein in die Flammenhölle und das tödliche, gleißende Licht. Er versuchte nicht zu atmen und die Augen so weit zu schließen, wie es nur ging. Trotzdem war die Hitze unvorstellbar. Es war keine glühende Hand, die in sein Gesicht schlug, sondern Thors Hammer, der ihm das Fleisch von den Knochen riß, seine Augen verbrannte und seine Lungen mit kochender Lava füllte. Halb blind vor Hitze und Schmerz erreichte er Mark, fiel neben ihm auf die Knie und grub die Hände in seine Jacke. Selbst seine Kleidung war heiß. Und die Flammen kamen näher. Sie bewegten sich jetzt schneller, um sich die schon sicher geglaubte Beute nicht doch noch im letzten Moment entreißen zu lassen.
Bremer zerrte mit aller Kraft. Flammen griffen nach seinen Händen und begannen ihm das Fleisch von den Knochen zu brennen, und eine glühende Lohe strich über sein Gesicht und verbrühte seine Haut. Der Schmerz war unerträglich, aber Bremer ließ nicht los. Marks regloser Körper schien Tonnen zu wiegen. Bremer zerrte, riß, stemmte sich gegen den Boden und spürte, wie die meisten seiner Fingernägel abbrachen und sich sein eigenes Blut mit dem des Jungen vermischte, während es über seine Jacke lief, aber er ignorierte den neuerlichen Schmerz ebenso wie den immer unerträglicher werdenden Drang, Luft zu holen. Er durfte es nicht. Er würde zusammen mit Mark sterben, wenn er es tat, denn die Luft war jetzt so heiß, daß er im wahrsten Sinne des Wortes Feuer atmen würde.
Er wußte nicht wie, aber irgendwie gelang es ihm, den schlaff daliegenden Körper zu bewegen. Es gab einen sonderbaren, saugenden Laut, als hätte sogar der Boden noch versucht, sich an ihn zu klammern und ihn festzuhalten, aber plötzlich war Mark frei Bremer taumelte rückwärts, einen Schritt, zwei, zerrte Mark mit dem letzten bißchen verbliebener Kraft, das er noch in seinem Körper fand, mit sich, einen weiteren Schritt und noch einen, und plötzlich waren Hände da, die an ihm vorbei nach dem Jungen griffen, und andere, die ihn auffingen, als er zu stürzen drohte.
31. Kapitel
Schließlich hatten sie doch noch einen Unfall gehabt. Es war eine Kleinigkeit, nicht mehr als ein paar Kratzer an Sillmanns schwerem Mercedes und ein eingedrückter Kotflügel an dem Golf, den sie gerammt hatten, und es war wohl eine der kleinen Ironien des Schicksals, daß es nicht einmal Sillmanns Schuld gewesen war; nach einem Dutzend Ampeln und Haltegeboten, die sie überfahren hatten, hatte ihnen schließlich der andere die Vorfahrt genommen. Sillmann hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, auszusteigen - er hatte zurückgesetzt die Scheibe heruntergelassen und dem noch völlig benommenen Fahrer des anderen Wagens einen Tausendmarkschein in die Hand gedrückt, um weiterzubrausen, ehe dieser überhaupt begriff, wie ihm geschah.
»Halten Sie das für klug?« fragte Petri.
»Was?« Sillmann fingerte schon wieder am Autoradio herum und sah zwischendurch unentwegt nervös in den Rückspiegel. »Soll ich anhalten und warten, bis die Polizei kommt?«
»Es war seine Schuld«, sagte Petri. »Ganz eindeutig.«
»Und? Heute ist sein Glückstag. Wenigstens einer.«
»Ja - und mit ein bißchen Pech denkt er jetzt, Sie wären betrunken oder der Wagen gestohlen oder sonst irgend etwas
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